Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
garniert mit Selbstmitleid. Diese dumme Trutschn! Alles hab ich für sie gemacht! Nicht einmal den Hochzeitstag vergessen, obwohl an dem Tag Pokalfinale gewesen ist. Das ist alltagserprobt. So kommt es ins Drehbuch.
Auffüttern kann er die Geschichte immer noch bei Bedarf. Eine melancholische Gestalt soll er abgeben, vom Leben gezeichnet. Aktuell fällt die Verwandlung nicht schwer. Er erhöht unwillkürlich sein Marschtempo. Die Dämmerung weicht dem Einbruch der Nacht. Jede verplemperte Minute könnte die alte Brauner dem Grab näher bringen.
D er Sandner ist bei der Kirche Sankt Gertrud abgebogen. Zwischen in die Jahre gekommenen Arbeiterhäusern läuft er die Straße entlang. Das eine oder andere erstrahlt in neuem Glanz und ist natürlich kein »Sub Standard«, wie die Broschüren es anpreisen.
Sobald er in eine der schmalen Seitenstraßen einbiegt, werden die Fassaden brüchiger. Links und rechts sind lang gezogene, betagte Wohngebäude auf den Rasen gepflanzt. Höchstens zweihundert Reichsmark hast du für die Arbeiterwohnung gezahlt, seinerzeit. Sub Standard.
Er marschiert durch die Siedlungslandschaft, staunend wie ein Kind im Märchenpark. Als würde er auf einem Laufband hatschen und sich nicht vom Fleck bewegen. Hat er diesen Zeilenbau nicht schon gesehen? Diesen Baum? Diese Ecke? Selbst das alte Waiberl mit dem Gehwagen mag er bereits überrundet haben. Nur die Nase schaut unter ihrem Regenponcho hervor. Dabei fällt kein Tropfen vom Himmel. Vielleicht ist sie Hellseherin oder Wetterhexe. Sie lässt ein »Grüß Sie Gott« vom Stapel. Der Ton so dünn wie eine Spinnwebe. Mit einem Nicken erwidert er den Gruß.
Aus einem ebenerdigen Fenster im Gebäude zur Linken schwingt ein spindeldürrer Kauz mit Unterhemd und Zigarre seine Füße und springt hinaus. Er nimmt keinerlei Notiz vom Passanten und pafft draußen vor sich hin. Sieht zu, wie die Rauchwölkchen gen Himmel verschwinden. Er will wohl seinen Anteil an der Klimaerwärmung sehen. Auch ein Hobby.
Eine schwarze Katze mit bimmelndem Glöckchen um den Hals begleitet ihn ein Stück des Weges, bis ihr der mürrische Geselle zu langweilig wird. Noch eine Seitenstraße zur linken, mehr ein gepflasterter Weg – und vor ihm taucht es auf.
Gebaut in den ersten Nachkriegsjahren scheint der Wohnklotz fast allen Renovierungsversuchen getrotzt zu haben. Unverändert in seinem abgeplatzten, schäbigen Charme. Olivfarbene Wände unter rotem Ziegeldach. Zweigeschossig, verwitterte Fensterläden. Man sollte die Sprache der Gemäuer verstehen können. Falls die sich überhaupt herablassen würden, mit den Leuten, die sie beherbergen, zu sprechen. Weise und ruppig stellt sie sich der Sandner vor.
Hier ist also die Hausnummer vierzehn. Gardinen werden beiseitegeschoben, um einen Blick auf den Kerl mit der Sporttasche zu werfen.
Das Gebäude ist dem Sandner sympathischer als seine runderneuerten Genossen, denen sie noch ein strahlend weißes Geschoss aufgepappt haben. Das Satteldach vermittelt Gemütlichkeit. Eine verwitterte Bank steht auf der Rasenfläche unter einer Linde, jemand hat ein kleines Blumenbeet angelegt. Es muss nicht alles makellos und geschleckt sein – aber wahrscheinlich hat er gut reden. Seine Dusche funktioniert, und im Winter wird es warm in der Stube.
Der Ermittler ist ein paar Meter vor dem Eingang stehen geblieben. Was vor dem Haus auf der Straße thront, gehört da nicht hin. Nicht jetzt!
Neben dem üblichen Fahrrad-Fuhrpark, hauptsächlich geschundene Kinderbikes, parkt ein Fahrzeug. Du könntest dich im Lack spiegeln.
Ein Streifenwagen! Den hat der Sandner so nötig wie Taubenschiss auf der Frisur.
Besetzt ist er mit einem Uniformierten. Schmal, unscheinbar, pickelige, ferkelfarbene Wangen. Der Polizeischule kaum entwachsen, der Bub. Er würdigt ihn keines Blickes. In seinen Schoß starrt er, daddelt bestimmt Tetris auf dem Smartphone.
Die Fahrertür ist geöffnet. Sein Kollege ist nirgends zu sehen. Der scheint sich im Haus herumzutreiben. Hoffentlich nur eine Banalität. Zu wem will der Miran ihn stecken? Wenn sie ihm bloß nicht seinen Schlafplatzvermieter abführen. Dann wäre er angeschmiert.
Nach kurzem Zögern setzt er sich in Bewegung. Ein Holzkeil hält die verwitterte Haustür offen.
Kaum tritt er in den Hausgang, wird er rüde angerempelt. Ein schmerbäuchiger Polizist wollte quasi durch den Sandner hindurch nach draußen.
Das Überraschungsmoment ist beiderseitig. Mit einem schnellen Blick scannt der Sandner die
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