Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Reparatur.
Sie hat recht. Auch wenn dem Sandner das nicht schmeckt. Er schaut sein Handy an, wie sie das Gespräch plötzlich beendet hat, als ob es noch eine alternative Antwort verborgen hielte. Gerade so wie die Leute in der U-Bahn, denen ohne die winzigen Displays vor der Nase ihr Leben wie in Schwarz-Weiß vorkommen würde. Vielleicht könnte sein Handy doch eine Antwort generieren.
Er ruft den Jonny an und erzählt ihm, dass seine Jacke gestohlen worden ist. Einzelheiten erspart er sich und dem jungen Beamten. Der Name des Burschen, der sie ihm gerade vorbeiradelnd präsentiert hatte, wäre ihm bekannt. Dazu hätte er gern die Adresse. Dass er sich in einer halben Stunde wieder melden würde, bekommt er zur Antwort. Der Jonny stellt keine unnötigen Fragen.
Hunger meldet sich an. Er könnte erforschen, was der Indianer im Kühlschrank gehortet hat, entschließt sich aber für legalen Erwerb von Nahrungsmitteln beim kleinen Lebensmitteltandler. Er muss nachdenken. Gastwirtschaft kommt aktuell nicht infrage.
Es ist nicht weit. Nur ein paar Schritte. Kaum zwanzig Meter vor dem Haus soll die Tat passiert sein. Von den Fenstern aus möglicherweise sichtbar, trotz Dunkelheit. Zumindest Schemen. Spätestens, wenn jemand zur Haustür geeilt wäre, könnte man ihn erkennen. Ob der Wessold noch Zeit zu schreien hatte? Kein Zeuge hatte sich gemeldet. Schweigen im Walde. Der gesamte Block will im Wohnzimmer vor der Glotze gehockt haben oder war längst im seligen Schlummer. Große Wahrscheinlichkeit. Nach vorne raus gingen nur die Küchen – und Toilettenfenster. Nicht einer war zur Tatzeit auf dem Scheißhaus.
Der Sandner betrachtet das Rasenstück vor sich. Hier ist der Wessold verblutet. Das struppige Grün gibt ihm keine Antwort. Kurze gedankliche Rekonstruktion:
Das Opfer hatscht also fröhlich pfeifend hier entlang. Der Fuhrer erscheint auf der Bildfläche und stellt den Mann zur Rede. So sprichst du nicht über meine Frau, du Sauhund und blablabla. Kreative beidseitige Beschimpfungen. Sie fangen an zu raufen. Leichtes Spiel dürfte der Ganove mit dem Betrunkenen gehabt haben. Er hatte kaum Alkohol im Blut, der Fuhrer zwei Promille. Er schlägt also zu. Der Fuhrer zieht das Messer. Nein, unwahrscheinlich. Wo soll er das gehabt haben? In der Jackentasche, schon in der Hand? Ein Trumm von einem Tranchiermesser. Wenn er damit auf seinen Gegner zugegangen wäre – der hätte sich schön bedankt. Dem wären die Augen aus dem Schädel gepurzelt, und dann hätte er die Beine in die Hand genommen, um kein Aufschnitt zu werden. Unwillkürlich denkt der Sandner an Bierschinken. Naheliegende Assoziation.
Noch einmal: Der Wessold schlendert vorbei. Der besoffene Fuhrer kommt auf ihn zu und stößt ihm das Messer ins Herz. Ratzfatz. Ohne Ansage. Warum nicht von hinten? Weil der Wessold ein Geräusch hört und sich umdreht? Möglich. Wo soll sich der Fuhrer versteckt haben? Im Gebüsch? Und dann ist er mit zwei Promille auf den Wessold losgehechtet wie Kung Fu Panda? Neue Version: Fuhrer und Wessold kämpfen. Sind abgelenkt. Der Meuchelmörder schleicht heran. Zack und zack fährt das Messer ...
»Was machst du da?« Der Knirps mochte drei oder vier sein. Er steht direkt neben ihm.
Der Sandner fährt zusammen. Mörder spielen, was sonst? Er war eingetaucht ins Geschehen, kleines Tänzchen über den Rasen. Sein ausgestreckter Arm hält eine imaginäre Klinge. Gerade hat er den Wessold abgemetzelt. Einfache Übung. Könnte ein jeder, wenn es darauf ankommt. Auch er war abgelenkt, und der Kurze ist plötzlich neben ihm gestanden.
Der Zwerg streckt den Arm aus, versucht, ihn zu imitieren. Dann geht er nahtlos zu einem Karatekampf mit Händen und Füßen gegen unsichtbare Gegner über. »Huh« und »Hah«.
Ein alter Zausel kommt hinzugeschlürft, offenbar der Großvater. Einen schwarzen Adidas-Trainingsanzug trägt er, die spärlichen grauen Haare streng nach hinten gegelt. Er mustert den Polizisten von oben bis unten. Die Lippen zusammengekniffen, die Brauen zu einem Strich gezogen. Kurzsichtigkeit oder das personifizierte Misstrauen. Recht hat er. Der Sandner lässt den Arm sinken.
»Lass den Mann in Ruhe, Kevin. Komm her«, befiehlt der Alte.
»Tai Chi«, erklärt der Polizist mit einem gewinnenden Lächeln in dessen Richtung.
»Deitschi macht der Mann«, erklärt der Kleine seinem Opa mit ernster Miene. Der scheint wenig dankbar über die Aufklärung. Der Bub wird an der Hand gepackt und weggezerrt.
»Ich will
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