Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Zumindest die gleichen Vorlieben.
»Ich muss mit Herrn Yilmaz reden«, vermittelt er der Frau.
»Der ist nicht da.« Damit ist für sie das Gespräch beendet. Sie will die Tür wieder schließen.
Der Sandner spürt, wie ihm heiß wird. Der Ärger kommt ihn besuchen. Gerade ein willkommener Gast, falls er sich an die Spielregeln hält. Manchmal ein wenig übermütig. Einen Fuß stellt er in die Tür. Sein Gesicht kommt dem ihren zum Zubeißen nahe. Er gibt das lauernde Raubtier zum Besten. Dafür muss er sich nicht verstellen.
Ihr Parfüm ist süßlich. Irgendeine Patschulimischung, die jedes Veilchen sofort verblühen ließe vor Neid.
»Was soll das?« Jetzt ist Frau Yilmaz nervös. Das sollte sie auch sein. Die Kaumuskeln arbeiten im Akkord. Über der Nasenwurzel zeigt sich ein eingekerbtes V. Eindeutiges Signal. V wie verpiss dich!
»Bist du taub, er ist nicht da.«
»Wann kommt er wieder?«
»Weiß nicht – kann dauern.«
»Wo find ich ihn?«
»Weiß nicht.«
»Handynummer?«
Sie zögert. Seinen finstersten Blick hat er ausgegraben. Hauptsache, es taucht niemand im Hausgang auf, der Beschützerqualität beweisen will.
»Polizei oder was?«, will sie wissen. »Ich muss gar nichts ...«
»Schau ich so aus? Hopp, die Handynummer!« Sein Knurren kommt von tief unten. Dort, wo der Ärger im Käfig lauert. Die Tür steht offen. Shir Kan, dem Tiger, verlangt es nach einer Antwort.
Sie diktiert ihm eine Nummer.
»Sag ihm, es geht um eine Jacke, samt Inhalt«, herrscht sie der Polizist an, »und ich komm wieder.«
»Meinst du, er hat Angst vor dir? Der macht dich fertig, du Hurensohn.«
»Kann er gern probieren.«
Es geht nichts über klare Verhältnisse und direkte Sprache. So gehst du dem gängigen Phänomen der Missverständnisse aus dem Weg. Der Sandner kann damit umgehen. Das ist ihm lieber als Zeitgenossen, die sich einen Knoten in die Zunge quatschen, um jede Unfreundlichkeit in Geschenkpapier zu wickeln. Denen darfst du nie den Rücken zudrehen.
Die Frau stemmt sich urplötzlich gegen die Tür, aber er hat seinen Fuß genauso schnell herausgezogen. Der Knall sorgt für Widerhall im Hausflur. Von oben rieselt Staub auf Sandners Haupt. Keine Asche. Nachdem er ihren Angaben nicht traut, wirft er einen Zettel mit seiner aktuellen Kummernummer auf den Welcome-Fußabstreifer, bevor er sich wieder schleicht. Sie wird ihn für ihren Mann aufbewahren. Enttäuschung und Wut rangeln um den besten Platz in seinem Schädel. Wer, glaubt der Kerl, dass er wäre? Die große Nummer? Wenn der Sandner mit ihm fertig wäre, käme er einstellig daher. Er hätte sich überlegen sollen, wen er beklaut. Zu fürchten bräuchte er sich nicht, der saubere Herr Yilmaz. Schließlich dürfte er aktuell erstklassig bewaffnet sein.
Der Sandner wählt die Nummer, die ihm dessen Eheweib diktiert hat. Mailbox.
»Ruf zurück, Yilmaz«, knurrt der Polizist. »Ich will meine Jacke wieder. Und zwar samt Inhalt – sonst bist du fällig.«
Klare Ansage. Der Monolog hat ihn etwas erleichtert.
Warum nimmt der Kerl das Risiko auf sich, dem Sandner die Jacke zu stibitzen? Wohl nicht, weil dem Sohnemann die Klamotten ausgegangen sind. Wegen der Brieftasche? Er hatte sich nach dem Fuhrer und den Geschäften vom Wessold erkundigt. Laut genug. Entweder große Geldnot oder der Yilmaz wollte wissen, wer er war, und ist unauffällig mit der Jacke verschwunden, weil er gehofft hatte, einen Anhaltspunkt zu finden. Zum Beispiel eine Brieftasche mit Ausweis darin. Eine andere Erklärung hat der Sandner nicht. Stattdessen findet der Mann eine Pistole. So eine Freude. Welchen Reim er sich wohl darauf macht? Seit sechs Jahren ist er also unbescholten, die Weste weiß wie eine Engelsschwinge – und dann macht er sich die Mühe, eine Jacke mitgehen zu lassen?
Seine Perle scheint jedenfalls Kalamitäten aller Art gewohnt zu sein. Herrschaftszeiten – und wo ist der Sinn, wo ist ein Funken an Erkenntnis?
Gedankenverloren schlendert er den Weg zurück zu Chingachgooks Behausung.
Zurück im Wigwam macht sich der Sandner daran, eine Liste zu erstellen. Da wären der Gestreifte, der an Fuhrers Unschuld glaubt, Yilmaz, der ihm mir nichts, dir nichts die Jacke klaut, ein Polizist, der sich aufführt wie die Axt im Wald, ein sexbesessener Zahnarzt, die Frau Fuhrer, der Vinzent, der alles zu wissen scheint, der seelsorgende Wirt, die rot gesträhnte Damenriege und der erstochene Wessold ohne Wohnungsschlüssel. Pfeile und Striche malt er dazu, bis das
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