Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Sie schon was gegessen, heut?«, will sie von ihm wissen.
Er wirft ihr einen Blick zu, als hätte sie sich das Gewand vom Leib gerissen, um sich selbst als Mahlzeit anzubieten.
»Ich freß mich zam, während meine Mutter verreckt? Könnten Sie das?«
»Das nützt ihr nix, wenn Sie zusammenklappen.« Worte. Es sind nutzlose Buchstabenreihen, die für ihn keine Bedeutung haben.
Sie merkt es, sobald der Satz die Luft zum Scheppern bringt. Das Einzige, was zählt, sind Handlungen. Deswegen wird sie jetzt dem Anhang des Zahnarztes einen Besuch abstatten. Das hilft dem Brauner mehr, als wenn sie sich mit Händchenhalten beschäftigt. Er wird nicht gleich verhungern. So schnell fällt man nicht vom Stangerl, auch wenn er keine Frau ist.
H andeln ist auch das, was der Sandner vorhat. Von Verhungern ist bei ihm nicht die Rede. Zwei einverleibte Käsesemmeln später treibt es ihn wieder auf die Straße. Interessant – der erste Discounter, wo du acht verschiedene Sorten Schnaps im Regal an der Kasse findest. Nachfrage bestimmt das Angebot. Mit Backwaren hat es eher rar ausgesehen.
Der Jonny hat ihm die Adresse des Jackenträgers gesendet. Es ist nur ums Eck. Alles scheint man hier fußläufig zu erreichen. Kleine Welt. Über ein Rasenstück kürzt er ab. Leichter Nieselregen setzt ein. Passend zu Sandners Stimmung.
Das Haus gehört zu einem neu renovierten Ensemble, mit stählernen Türrahmen und aufgepeppten Balkonen. Kükengelbe Fassade, der Klingelkasten chromglänzend. Yilmaz. Auf sein Läuten wird ihm mit Verzögerung geöffnet. Erdgeschoss. Wenigstens etwas.
Eine Frau lehnt im Türrahmen. In ihrem schwarzen Haar sind graue Strähnen eingewirkt, ihre Finger sind mit diversen Goldringen geschmückt. Sie dürfte in seinem Alter sein. Hinter ihr kann der Sandner Umzugskartons erkennen, die sich im Flur aufstapeln. Die Familie will offenbar das Domizil wechseln.
»Ja was?«, will sie wissen. Ihre Kiefer zermahlen einen Kaugummi, auf der Stirn manifestieren sich Dackelfalten. Die Hände in den Hüften mustert sie ihn von oben bis unten. Was sie sieht, bietet offenbar keine Anregung für freundliche Konversation. Das ergänzt sich mit Sandners Bedürfnissen. Er ist nicht gekommen, um übers Herbstwetter zu plaudern. Wobei es ihm gut gelingt, eine Gewitterwolke mimisch darzustellen.
Der Jonny hat ihm ein Bild des feinen Herrn Yilmaz gesendet. Der Sandner hat ihn gleich wiedererkannt. Ziemlich nahe bei ihm ist er gesessen beim Ansi, eine Flasche Pils in der Hand. Schwarze Lederjacke, Igelschnitt, ausgefallener Ring mit blauem Stein. Es ist der düstere Gesprächspartner des besoffenen Wiesels gewesen. Kein Zweifel. Vielleicht ist es sogar eine abgekartete Sache gewesen, wer weiß? Was hatte der Vinzent in der Kneipe noch gemeint? Sogar hier herin wären die Sauhunde, und dabei hat er am Polizisten vorbeigeschielt. Hatte er vom Yilmaz gesprochen? Die Kneipenszenerie wird an Sandners innerer Staffelei gepinselt, Strich um Strich. Alles fügt sich. Seines Zeichens kein Unbekannter, der geschickte Jackendieb. Körperverletzung, Betäubungsmittelmissbrauch, die ganze Palette. Allerdings – seit sechs Jahren scheint er sich besonnen zu haben. Kein aktueller Eintrag, ganz im Gegensatz zum Sohnemann. Der steht am Anfang einer interessanten Karriere. Schulbesuch ist dabei eher hinderlich. Anderen ordentlich die Knochen neu zu sortieren hat ihm sein Vater in die Wiege gelegt – statt der Rassel. Die wandelnde Arbeitsbeschaffungsmaßnahme fürs Orthopädenhandwerk.
Der Jonny hat dem Sandner sogar eine mögliche Erklärung mitgeliefert, warum der Filius des Yilmaz seine Jacke spazieren trägt. Erst gestern Abend ist er in eine Rauferei beim Burger-Tandler am Stachus verwickelt gewesen. Unentschieden, mit ein paar leichteren Blessuren bei den Beteiligten – sagt das Protokoll vom Polizeieinsatz. Da wird dem Burschen jemand das windige Jackerl zerfetzt oder beschmutzt haben. Vielleicht hat auch wer ein fettiges Fleischpflanzerl draufgespien – wäre kein Fehler, wenn du das nicht bei dir behalten magst. Irgendwie hat sich der arme Bub ja heute den Regen vom Leib halten müssen. Und da ein geeignetes hochwertiges Kleidungsstück rumgeflackt ist im Hause Yilmaz, hat er halt zugegriffen. Ganz der Vater. Gut, dass er sich nicht verkühlt, der Bub.
Seine Erziehungsberechtigte trägt einen grauen Everlast-Jogginganzug. Einen Moment hat der Sandner das Gefühl, die ganze Familie bediene sich großzügig aus seinem Klamottenfundus.
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