Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Träume zerbeißen. Kein Wunder, wenn alle um dich strampeln und rudern, damit sie nicht untergehen. Das Wasser steht eh immer bis zum Kinn. Wenn sie dir die Verantwortung auf den Buckel schnallen wollen, kannst du das Kind in dir zu Grabe tragen und die Frau geben.
»Da ist einer rumgeradelt vorhin, mit schwarzer Jacke – kennst du den?« Nachdem er ihr sein Handy geliehen hat, wird’s Zeit für die Gegenleistung.
Irritiert streicht sie sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn.
»Wieso – was wollen Sie von dem?« Ihr Blick wird misstrauisch, die kajalumrandeten Augen schmal.
»Den muss ich was fragen. Dringend.«
»Was fragen, okay. Sie meinen, glaub ich, Aktan.«
»Aktan? Wie noch?«
»Yilmaz oder Yilmiz oder so ähnlich. Keine Ahnung. Aber der ist ein Assi. Das Rad war bestimmt geklaut. Voll hässlich ist der. Sonst noch was?«
Der Sandner schüttelt den Kopf.
Weg ist sie. Kleine, schnelle Schritte, den Kopf hochgereckt. Ihre Energie hatten sie ihr noch nicht ausgetrieben.
Der Sandner ist stumm geblieben. Keine Belehrung. Besser so. Weil sie nur eine Art Männer kennt. Männer, die nie das Kind sehen. Ihre Antworten hätten die Hilflosigkeit herausgekitzelt und die Leere – weil’s immer so weitergeht, immer jemand nachkommt und er immer hineinpacken muss in die Scheiße.
Sein Blick fällt auf die geparkten Kinderwagen.
Er schlendert, Hände in den Hosentaschen, auf die Frau zu, die immer noch am Platz verharrt. Sie holt ein Päckchen Zigaretten hervor und zündet sich eine an.
»Von mir aus hätten sie geben können«, sagt sie und versucht ein Lächeln. »Mir egal. Der kann ich nicht verbieten. Macht, was sie will.« Vielleicht ist das besser, als wenn sie täte, was sie soll. Aber das sagt der Sandner nicht.
»Ihr Mann hat Probleme, oder?«, fragt er stattdessen in die Rauchwolke hinein, die sie einhüllt.
»Ist nicht mehr mein Mann, geht niemanden was an.«
Sie dreht sich von ihm weg.
»Der Polizist, der Kastelmeyer, macht der das öfter so?«
Ein heftiger Zug von der Zigarette, es scheint die letzte erhältliche auf der Welt zu sein. Als wenn ein eisiger Wind durch die Wohnanlage fahren würde, zieht es ihren Körper zusammen.
»Ich hab gesagt – ist egal. Hören Sie auf zu fragen. Niemand legt sich mit dem an. Der macht, was er will. Der ist Arschloch – und ist Polizei.«
Sie wirft die Kippe ins Gebüsch und verschwindet im Haus. Das muss nicht zwingend einhergehen, hätte ihr der Sandner gern erwidert. Aber mutmaßlich ist er auch ein polizeiliches Arschloch – zumindest Unruhestifter.
D er Indianer ist ausgeritten – vielleicht Kriegspfad – und der Sandner setzt sich an den Küchentisch und kaut gedankenverloren an einem Schokoriegel. Dann ruft er die Wiesner an.
»Wie sieht’s mit unseren sozialen Dienstleistern aus?«, will er wissen. Dass der Hartinger keine neuen Erkenntnisse mitgebracht hätte, erfährt er. Und die News vom Zahnarzt.
»Alles nicht prickelnd. Da müssen wir noch ein Schauferl zulegen. Dampf machen. Ich müsste ein paar Türen aufbrechen«, resümiert er.
»Hast du dich ausgesperrt?«
»Ja, so fühlt sich das an, Sandra.«
»Ich hab grad mit der größten Drecksau im Gau gesprochen. Ich muss jetzt duschen, von innen.«
»Trink einen Schnaps für mich mit.«
»Was ist das bloß für eine dreckige Geschichte?«
»Das ist doch immer so, wenn man nur tief genug wühlt. Ein gutes Zeichen.«
»Wenn das dein Optimismus ist, möchte ich nicht wissen ...«
»Pscht – frag nicht.«
Jetzt erzählt ihr der Sandner in einem Nebensatz von seiner verfluchten Jacke samt gefährlichem Inhalt. Er muss es loswerden. Reinen Tisch machen. Mit der Waffengeschichte im Hinterkopf kann er nicht über den Fall diskutieren, als wäre es alltägliches Geschäft. Es ist zu seinem persönlichen Geschäft geworden, und mit etwas Pech wartet auf ihn schon der Konkurs.
Einen Moment lang ist Schweigen in der Leitung. Nur den schnellen Atem seiner Kollegin kann er hören. Er gibt ihr Zeit, die Dimension des Gesagten zu verarbeiten. Worst Case, Alarmstufe Rot.
»Dank schön, Sandner.« Ihr Tonfall klingt zynisch. Seine Entscheidung hätte er ja schon getroffen. So oder so. Wenn er es nicht melden würde, hätte sie es auch nicht erfahren wollen. Was sie denn jetzt mit dem Schmarrn tun solle? Ob sie seine persönliche Telefonseelsorge wäre? Er solle sich ein eigenes Gewissen zulegen, nicht immer das von anderen ausborgen. Ihr Beichtstuhl wäre gerade in
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