Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
entlang, späht in jede Ritze. Als wäre Django in der Stadt. Schnell die Fensterläden zu und fort von der Straße. Nicht einmal jemanden zum Fragen kann er auftreiben. Am liebsten hätte er die Leut aus den Wohnungen gebrüllt. Antreten zum Appell und durchzählen! Hopp, hopp!
Zwischen orangefarbenen Häuserblöcken läuft er hin und her, bis ihm die Puste ausgeht. Herrschaftszeiten, der Bursch konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben. Als wäre es ein Trugbild gewesen. Das Viertel macht ihn langsam, aber sicher mürbe wie einen alten Keks. Alles für die Katz!
Der Radler ist gestern sicher nicht in Ansis Spelunke gewesen. Höchstens fünfzehn mochte der sein. Das Kleidungsstück ist um ihn herumgeschlottert. Vogelscheuche auf zwei Rädern. Das beruhigt den Sandner kurzfristig. Wenn die Jacke jemand entsorgt hätte, dann mutmaßlich ohne den brisanten Tascheninhalt. Hoffnung sieht zwar anders aus, aber immerhin.
Er marschiert retour. Den Gestreiften hat er nicht zum letzten Mal heimgesucht. Vater und Sohnemann bekommen ein dickes Ausrufezeichen. Interessante Familie. Der Vater behauptet, der Fuhrer wäre unschuldig, sein Ableger ist Wessolds Hiwi gewesen. Da müsste er sich sehr täuschen, wenn die beiden nicht Licht ins Dunkel bringen könnten. Und wenn’s nur Streichhölzer wären. Langsam wird ein Schuh daraus. Das Leder hat er schon vor sich. Nichtsdestotrotz hat er noch keinen Leisten. Und zum Thema Werkzeug ist sofort seine Dienstwaffe präsent. Wer knüpft gerade eine Beziehung zu Heckler & Koch? Und was, zum Kuckuck, würde er damit anstellen?
Vor dem Eingang zu seinem Domizil sieht er eine braun bezopfte Frau mit einem halbwüchsigen Mädchen diskutieren. Er erkennt das Duo wieder. Im ersten Stock wohnen sie. Protagonisten im Schauspiel um Slatkos Verhaftung, nebst brutaler Aktion des Sheriffs.
Die Frau greift jetzt nach der Steppweste des Mädchens. Wird ihre Tochter sein. Die reißt sich los und stapft wütend davon. Die Bezopfte ruft ihr irgendwas hinterher, was der Sandner nicht versteht.
»Verpiss dich doch«, plärrt das Madl. Sie läuft direkt auf den Sandner zu. Stämmige Figur, die kurzen dunkelbraunen Haare beinahe ganz unter einer Baseballmütze versteckt, vielleicht dreizehn oder vierzehn. Silberknopf auf der Oberlippe. Herausfordernd stemmt sie die Arme in die Hüfte und schnaubt wie ein Pferd auf der Weide.
»Ham Sie eine Zigarette?« Demonstrativ wirft sie ihrer Mutter einen Blick zu.
»Des tät deiner Mutter nicht gefallen, glaub ich.«
»Ach die – bitte.«
»Ich rauch nicht.«
Sie geht nicht weiter. Der Sandner auch nicht, und ihre Mutter bleibt am Eingang verwurzelt, die Arme verschränkt. Drei Standbilder.
»Schaut nach Ärger aus«, meint der Polizist zu den schwarzen Wolken, die sich am Himmel zusammenrotten.
»Ich brauch jetzt ne blöde Zigarette – kann ich mal Ihr Handy?
»Kein eigenes?«
Sie wirft wieder ihrer Mutter einen Blick zu. »Kein Guthaben.«
Der Sandner zieht sein Mobilteil aus der Tasche. »Aber kurz.«
Erster Einsatz für Hartingers Geheimkarte.
Es wird kurz. »Wo bist du, Malaga? Mama gibt mir kein Geld. Ich geh Sendlinger Tor. Komm da hin. In ner halben Stunde.« Sie reicht ihm sein Teil zurück.
»Danke.«
»Schon okay.«
Tränen hat sie in den Augen. Sie schaut erneut zurück zu ihrer Mutter. Der ganze Trotz und die Hilflosigkeit liegen in diesem Blick. Das Madl gehört einfach in den Arm genommen.
Das redet sich leicht. Dem Polizist kommt seine Tochter, die Sanne, in den Sinn. Nein – die ist mit dreizehn nicht herumgestanden und hat wildfremde Männer um eine Kippe angehauen. Da hat sie noch mit Lego gebaut – oder verklärt er gerade die Vergangenheit? Wahrscheinlich. Es ist hoch hergegangen mit Wutausbrüchen und Pipapo. Eigensinnig und mit zähem Willen ausgestattet ist die Sanne dahergekommen. Von wem sie das wohl hatte? Aufeinandergeprallt sind sie mit ihren Hörnern wie rangelnde Schafsböcke im Frühling.
Aber dem Madl hier stehlen sie gerade die Kindheit. Und du kannst dafür niemanden auf die Finger klopfen. Weil – der Dieb ist geschickt und schleicht sich überall ein. Wenn du dir als Kind Sorgen machen musst, was auf den Tisch kommt, wo das Geld bleibt und wo du morgen wohnen wirst, da scheißt du irgendwann auf die Puppen und Legosteine. Wenn es welche gäbe. Und da ist keiner und sagt: Ich kümmere mich schon – und macht die Tür zu, dass von draußen nicht jeder reinschauen kann, die Zähne fletschen und die
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