Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
bleibt die Sprache weg. Er schaut zwischen den Fotos und seinem Handy hin und her und runzelt die Stirn.
»Ich muss ...«
»Das hab ich seit fünfzehn Jahren nimmer in der Hand gehabt«, unterbricht ihn der Brauner. »Schau, da war meine Mutter zweiundzwanzig, ein bildschönes Madl ist sie damals gewesen.«
Der Jonny begutachtet die Porträtaufnahme und nickt. Scheues Lächeln, die Haare zum Zopf geflochten, weißer Rüschenkragen, das Ganze in gelbstichig-verblasster Qualität.
»Ja fesch. Da werden die Burschen sauber Schlange gestanden haben ... äh, ich mein, zum Foxtrotttanzen, oder so.«
»Umsonst. Der Schnabel is ihnen sauber geblieben. Nur einen hat es gegeben, den sie erhört hat, der es wert war. Was für eine stattliche Erscheinung wäre der Mann gewesen, hat sie immer geschwärmt.«
»Ihr Vater?«
Der Brauner nickt befriedigt über die korrekte Antwort und blättert weiter. »Schau, da sind sie auf der Alpspitz, auf dem Gipfel, schau nur, wie sie schaut! Sechsunddreißig ist das gewesen, drei Jahre vorm Krieg.«
Der Jonny drückt die Wahlwiederholung. Er könnte schlecht ausharren, bis das nächste Jahrtausend sich in Gestalt der alten Dame vor ihm manifestieren würde. Der Brauner blättert eine Seite weiter. »Schau nur!«
D er Hartinger ist nicht in der Schlange gestanden. Er ist gleich drangekommen – erhört worden.
Mittlerweile hat er einen tiefen Schlaf hinter sich. Das fleischliche Erlösungsthema ist umfassend behandelt worden – zurbeiderseitigen Befriedigung. So umfassend, wie es der junge Polizist sonst nur aus Träumereien kennt. Nein – nicht dieses unerschöpfliche Meer aus Phantasien, in das hat er nie so tief und so zeitlos eintauchen können, wie mit Isabellas allumfassender Führung. Was ihm widerfahren ist, lässt ihn staunen. Die Frau ist Leibeskundlerin. Ist wirklich er es gewesen? Die Flut hat ihn mitgerissen, mit trommelndem Herzen und ohne den Hauch eines Gedankens. Liegt dort wirklich dieses nackte Wesen neben ihm, den Arm über seinem Bauch, als wäre er ihr Besitz. Als müsste es genau so sein. Er unterdrückt seinen Impuls, nach dem Fehler zu graben. Dieses eine Mal nicht.
Sie schnarcht leise. Mehr ein Schnurren ist es, wie das einer Katze. Genau das ist sie. Er ist in ihren Fängen gewesen. Lauern, fangen, spielen und fressen. Und er hat es geschehen lassen. Er suhlt sich in der Wärme, die sie ausstrahlt, wie ein frisch geworfenes Ferkel unter dem Heizstrahler. Nur nicht rühren.
Er braucht einen langen Moment, bevor er die Ursache registriert, die ihn erwachen ließ. Im Flur tönt sein Mobilteil aus der Jackentasche. Immer wieder. Der Anrufer gibt nicht auf. Der Hartinger schon.
Die Isabella bekommt große Augen, als er von der Schlafstätte springt. Mit einem »Tschau« käme er ihr nicht davon. Will er auch nicht. Sie streckt die Arme nach ihm aus und grinst. In ihren Augen spiegelt sich der kleine Tod, der nach dem Hartinger Ausschau hält.
D en Sandner erwischt es beim Ansi bei rechtschaffener Undercover-Arbeit. Er hat eine Halbe vor sich und schaut sich gerade nach Gesprächspartnern um – als sein Handy die Rawhide-Melodie aufspielt.
Eine halbe Stunde zuvor war er geradeauf dem Scheißhaus beschäftigt gewesen, da hat sich der Indianer lautlos verdrückt. Vielleicht sollte man den Yilmaz in Schutzhaft nehmen, bevor er zu praktischen Haushaltsgegenständen im Hause Chingachgook verarbeitet würde. Aus deinen Fingerknöchelchen mach ich Handtuchhalter oder so ähnlich.
Aber der Hauptkommissar hat sich stattdessen auf den Weg zu Ansis Kneipe gemacht. Jede Entscheidung, die du triffst, kann dir einen Abgrund bescheren – auch die vermeintlich guten. Plötzlich geht es in die Schwärze der Tiefe. Schicksal oder Bestimmung, je nach glaubenstechnischer Überzeugung.
Der Sandner hat abgewogen. Chingachgook wäre hoffentlich keiner, der zum Schlachtermesser griff. Was hätte er auch verhindern sollen? Er hätte dem Indianer reinen Wein einschenken können über seine Identität. Er wäre vor die Tür gesetzt worden – und das zu Recht. Zu Yilmaz’ Behausung hetzen, um dort den Wachhund zu geben? Keine Alternative. Insgeheim hat der Sandner damit gerechnet, beim Ansi auf ihn zu treffen. Dann hätte er improvisiert.
Aber in der Kaschemme hat der Hundequäler nicht aufgeschlagen. Was auch ein Wunder gewesen wäre. Sich an zwei Stellen gleichzeitig zu manifestieren, wäre im Mittelalter ein Grund zur Heiligsprechung gewesen. Heilig wird der Yilmaz nicht
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