Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
ist, kann er es perfekt verbergen. Er trinkt bedächtig vom Bier. Platziert die Flasche auf dem Tisch und betrachtet das Etikett. Lange. Als müsste er die Inschrift vom Augustiner-Bräu auswendig lernen.
»Hab ich gewusst, dass deine Geschichte nicht stimmt«, sagt er dann. »Kein Wort davon. Hab ich gesehen. Verlierer sehen anders aus.«
Im Moment beschleicht den Sandner das Gefühl, Verlierer sehen akkurat so aus.
»Dank schön. Hoffentlich stimmt deine Geschichte – und zwar jedes Wort davon! Sonst bist du fällig.«
»Ich lüge nicht. Soll ich mitkommen?«
»Erst bringst du den Schnee zurück.«
Der Mann lächelt ihn an.
»Was geht in deinem Hirn vor, Hauptkommissar?«
»Wenig. Ich bräucht Zeit zum Nachdenken, aber die hab ich nicht einstecken. Den weißen Schmalzler wird jemand wiederhaben wollen – vielleicht der Mörder. Wenn ich dich mitnehme, wegen Mordverdacht, krieg ich nix raus. Denk darüber nach, was passiert, wenn man den Schnee bei dir findet. So wie die Buschtrommeln hier schlagen, werden die Frau Yilmaz und ihr Sohn zum Tatort hin sein. Ich schätz, du hast höchstens zehn Minuten. Wenn es Spuren von dir gibt, wenn dem Toten der Haarschopf fehlt, gehörst du der Katz. Ein Marterpfahl ist ein Dreck dagegen, das schwör ich dir – und jetzt los.«
»Du bist ein gerissener Fuchs.«
Der Sandner lacht auf. »Mein Fell verkaufen sie gerade meistbietend, glaub mir.«
» W as heißt das? Du kommst nicht?«, will die Wiesner vom Sandner wissen. Er hätte es sich anders überlegt und würde direkt auf die Dienststelle fahren. Die Wiesner geht mit dem Handy ein paar Schritte weg vom polizeilichen Remmidemmi. Ihre Schuhe verursachen ein schmatzendes Geräusch, wie sie durch den Matsch schreitet. Keine zwanzig Meter von ihr entfernt liegt die Leiche des Yilmaz. Sehen kann sie von ihrem Standort aus nur das Gewusel der geschäftigen Kollegen. Als wäre ein Ameisenstaat um ein totes Insekt versammelt.
»Sandner, der ist erschossen worden! Denken wir das Gleiche?«, nuschelt sie hinter vorgehaltener Hand.
»Ich werde den Verlust meiner Waffe ordnungsgemäß anzeigen. Sie müssen eruieren, ob Kugeln aus der Waffe den Yilmaz getötet haben. Alles andere wäre jetzt ein Schmarrn.«
»Der wird sich nicht suizidiert haben damit.«
»Das ist mir auch klar.«
»Die schlagen dir den Kopf ab. Scheißdreck. Und der Wenzel tanzt dazu mit dem Schleier, wie die Salome. Wir könnten sagen, wir haben so entschieden, weil ...«
»Ich allein habe entschieden, die Goschen zu halten. Du hast nichts gewusst – verstehst? Du bist ja nicht meine Beichtschwester – schon vergessen? Denk an den Brauner, nur darum geht’s. Vielleicht war es nicht meine Waffe – wer weiß.«
Der Sandner hat das Gespräch beendet. Alles ist gesagt.
A lles lebt nur einen Hauch lang. Unsere Zeit ist geliehen, im Nu müssen wir sie hinter uns lassen, haben bereits die Azteken festgestellt und es einst durch kreative Opferzeremonien verifiziert.
Knapp sechsundsiebzig Jahre leiht man sich statistisch berechnet als mitteleuropäischer Mann. Dem Yilmaz hat man nur die Hälfte gegönnt.
Ein Opfer, von einem Schuss in die Stirn niedergestreckt.
Über der Leiche ist ein Paravent aufgebaut, um den Regen abzuhalten. Vielleicht auch, damit den Kollegen die Kippen nicht nass werden. Für den Doktor Aschenbrenner ist das kein Thema. Der Gerichtsmediziner schaut sich gerade suchend nach seinem Freund um. »Der Sandner ist nicht hier«, erahnt die Wiesner seinen Blick.
»Ach so«, sagt er bloß, um sich wieder der Leiche zuzuwenden. Um den Arzt in Erstaunen zu versetzen, müsstest du ohne Kopf an ihm vorbeidefilieren, wie der Störtebeker, und dabei »You can leave your hat on« auf der Waldzither zupfen.
Sie blättert in der Brieftasche des Ermordeten. Die Identität scheint klar. Ausweis, Führerschein, Kreditkarten, Bargeld, Friseurbonusheft – vollgestempelt, der nächste Haarschnitt wäre umsonst gewesen. Auch der Schlüsselbund war vorhanden. Smartphone, elektronischer Autoschlüssel mit BMW-Emblem, Zahnseide, Teppichmesser und das Foto einer finsteren Herrin in Latex, die bestimmt nicht Frau Yilmaz heißt. Alles, was der Mann – jetzt nicht mehr – braucht.
»Der liegt höchstens eine halbe Stunde«, erfährt sie vom Aschenbrenner, »und das hier – da leg ich mich fest – ist auch der Tatort.«
»Wir glauben zu wissen, dass es erst vor Kurzem passiert sein muss. Es ist ein anonymer Notruf eingegangen, vor einer knappen
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