Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Morgen ginge es mit Friseur und Fußpfleger weiter. Er hätte sich um neun verabschiedet. Ebenso die Sandra Wiesner – nach der vergangenen Nacht ohne Schlaf hat der Sandner Verständnis.
»Geh früh ins Bett, Jonny«, gibt er den fürsorglichen Vorgesetzten.
»Und Sie?«, kommt es pflichtschuldig zurück.
Er hat ihm die Hundegeschichte geschildert, und die Frage hätte er sich selbst gern beantwortet. Was machst du, Sandner?
»Ich werd meinen Zimmervermieter von der Selbstjustiz abhalten – vielleicht – und dann rumstreunen in den Spelunken hier. Ich brauch Informationen. Und – mag sein, dass ich auf den Yilmaz treff.«
Minuten später steht plötzlich der Indianer in der Wohnung. Keine Leistung, da er die Tür nicht aufsperren musste. Er geht schweigend in die Küche und holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Der Sandner greift sich auch eine Flasche und setzt sich. »Die Ayasha wird wieder. Sie ist zäh und stark. Es war ein Stich – wahrscheinlich Messer.«
Der Sandner nickt und trinkt einen Schluck. Dann schildert er ihm noch einmal den Diebstahl der Jacke und den Besuch bei Frau Yilmaz.
Diesmal ist es am Indianer zu nicken. In seinem Gesicht regt sich kein Muskel. Er zieht sich seinen Poncho aus und hängt ihn über die Stuhllehne. Beeindruckend gemeißelte Bauchmuskeln. Auf der linken Brust prangt die handtellergroße Tätowierung einer Wasserschildkröte, um seinen Oberarm bis über die Schulter ist eine Schlange gewickelt, die ihren Kopf unter das Schlüsselbein bettet. Chingachgook, die große Schlange. Seinen Bauchnabel umgibt eine strahlende Sonne in Orangerot. Das könnte das Harthofer Wappen sein.
Der Mann fängt an, eine Melodie zu summen.
Mit dem Bier in der Hand hört der Sandner schweigend zu.
Chingachgooks Oberkörper schaukelt vor und zurück. Er hat die Augen geschlossen. Seine Oberarme ruhen, Handfläche nach oben, auf den Schenkeln. Er ballt die Hände zu Fäusten und reckt sie in die Luft. Wild schüttelt er sie, und aus dem Summen wird ein kehliger, eintöniger Gesang. Geschlagene zehn Minuten geht das so. Endlich greift er zur Bierflasche.
»Was immer du vorhast ...«, beginnt der Sandner.
Mit einer Handbewegung schneidet ihm sein Gegenüber das Wort ab.
»Meine Sache. Vielleicht töte ich seinen Sohn und schände sein Weib.«
Der Sandner sieht im Gesicht des anderen keine Spur von Ironie. Das beruhigt ihn nicht. Im Gegenteil. Wieder summt der eine Weise. Dann rezitiert er:
»Aus euren Schädeln werden wir Chicha trinken.
Aus euren Zähnen werden wir Halsketten machen.
Aus euren Knochen Flöten,
aus eurer Haut Trommeln,
und dann werden wir tanzen.«
D ie Wiesner tanzt auf einer anderen Hochzeit. Unter ihrem Leib bewegt sich ein Mann. Sie findet den Schlüssel nicht, um hineinzukommen, eine Verbindung herzustellen. Als wären sie getrennte Wesen, ihr Geist und ihr Fleisch. Nur durch das Schlüsselloch kann sie sich betrachten. Es kümmert sie nicht. Sie hatte sich in Schwabing ohne Ziel treiben lassen und ist von der Flut mitgerissen worden. Dem Fieber wollte sie sich nicht entgegenstemmen. Sie hat sich vor ihrer Grenzenlosigkeit gefürchtet, aber ungeduldig auf sie gewartet. Die hat sie aufgetaut und ist mit ihr übers Feuer gesprungen.
Der Mann hatte sie in einer Coffee Lounge angesprochen. Wo auch sonst in diesem Winkel der Stadt? Die Leopoldstraße ist bepflastert damit. Du brauchst nur umzufallen, um einen Bistrostuhl unter den Hintern zu bekommen und eine schwarz gewandete Bedienungsdiva, die dir gnädigst ihre Gunst erweist.
An seinen Spruch erinnert sie sich nicht, hatte etwas mit ihren Augen zu tun, nur an den Geschmack des Mai Tai. Den spürt sie noch auf der Zunge. Seine Hände waren von der feingliedrigen Sorte.
Jetzt sind ihre Finger in seine Brust gekrallt, ihre Nägel schlitzen sie auf. Sie hat die Augenlider zusammengepresst. Über ihn gebeugt, die Beine angezogen, fährt sie derb auf ihn nieder, verleibt ihn sich ein. Wieder und wieder. Zwei Viecher. Sie will ihn reißen, wie eine Beute, nichts weiter. Jemand in ihr hungert danach. Augenblicklich! Ist sie das oder sieht sie sich zu? Auf diesem roten Satinlaken, in diesem gestylten, aufgeputzten Zimmer, mit den zahllosen Spiegeln, die den Narzissten verraten.
Sie packt den Mann bei den Haaren, drückt seinen Schädel roh ins Kissen, greift nach seiner Kehle, wie es sie loslöst, ihre Hülle abschält, bis aufs Fleisch, das bekommt, was es erwartet hat. Ihren schluchzenden Erlösungslaut hört
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