Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
sie, als würde er in ihrem Inneren widerhallen wie in einem leeren Saal. Er vermischt sich mit dem lang gezogenen Röhren des pumpenden Wesens unter ihr. Finaler Zweiklang des Paarungsoratoriums.
»Für mich soll’s rote Rosen regnen«, spielt ihr iPhone auf. Gerade als sich der achtgliedrige Körper in zwei keuchende Wesen zurückverwandelt hat. Keine Erlösung für ihren Schädel. Es ist der dritte Anruf. Diesmal hat sie die Hände frei, um ranzugehen.
»Na endlich! Es gibt einen Toten im Harthof«, verkündet ihr ein übermüdeter Jonny. »Hat das was mit uns zu tun?« Er sagt ihr den Namen und Fundort.
Der Wiesner kommen die geröteten Bahnen in den Blick, die ihre Finger auf die Brust des Mannes gezeichnet haben. Unwirklich – vergangen – vorbei.
»Ja, hat es«, meint sie kurz, »ich bin auf dem Weg.« Sie hat noch eine SMS bekommen. »Wo bist du denn? Meld dich doch mal. Kuss. C.«
Ohne ein Wort schlüpft sie in ihre Jeans.
Der Mann im Bett beobachtet ihre Bewegungen. Sein Blick verharrt auf ihren bloßen Brüsten, als könne er damit zupacken und sie festhalten.
»Du gehst?« Kluge Feststellung, pathetische Frageform. Der Unterton pendelt sich zwischen Ungläubigkeit und verletzter Eitelkeit ein.
Sie nickt ihm zu. Kein Lächeln, kein »ein andermal«.
»Tschau«, wirft sie ihm aufs Kissen. Ihre Mundwinkel zeigen ein angedeutetes Lächeln.
Er verpasst den Moment, etwas zu erwidern. Stumm wie der Fisch, dessen Augen geborgt, beglotzt er, wie sie sich fertig macht.
Ohne Hektik, aber bestimmt. Sogar ihre Socken findet sie sofort.
Er kramt nach seiner Zigarettenpackung. Das Feuerzeug flammt auf. Sein erster Zug – die Wohnungstür schließt sich.
Sie ist draußen. Kurz muss sie sich orientieren. Kein Taxi weit und breit. Sie will sich nicht abholen lassen. Nicht hier. Nicht im Schwabinger Niemandsland. Ihr würde der Blick genügen, auch wenn es keine Fragen gäbe. Sie macht sich auf den Weg zur U-Bahn. Der Hartinger soll sie dort aufgreifen, falls er endlich an sein Handy ginge. Nicht zu Hause. Sie will nicht mit sich allein sein und warten. Besser die Nacht ginge so weiter. Auf festem Terrain, dort wo du sichere Schritte setzen kannst und nichts dich verstört. Die Toten sind es nicht, die ihr den Schlaf rauben.
W er den Brauner aktuell um den Schlaf bringt, ist hoffentlich auch quicklebendig. Die Gedanken an seine Mutter begleiten ihn wie sein Schatten, wo immer er sich im Haus herumtreibt. So als könne er überall das matte Pochen ihres Herzens vernehmen. Ruhelos tigert er umher, hört ungeduldig dem Jonny zu, wie der versucht, das Team zusammenzutreiben wegen dieser ominösen Leiche, die gerade im Harthofviertel gefunden wurde. Gefunden wird offensichtlich genug, nur keine Spur der Braunerin. Immer neue Namen scheinen aufzutauchen, immer neue Verwicklungen und Geschichten. Selten hat sich der Pensionär so machtlos, so schwach gefühlt. Als wären die verronnenen Stunden durstig über ihn hergefallen und hätten das Mark aus seinen Knochen gezapft, wie Starkbier frisch vom Fass.
Der Jonny schnattert gleich einem aufgeregten Ganter ins Telefon. Nahtlos wechselt er zu Flüchen über, weil der Hartinger nicht an sein Handy ginge und er das Callcenter geben dürfe. Das tatenlose Herumlungern macht den Brauner wahnsinnig. Also ein Ermordeter mehr. Dieser Zustand mag bedauerlich für den Mann sein, nur nach heutigem medizinischen Kenntnisstand wäre er irreversibel. Die Leiche könnte getrost noch einige Zeit in der Kühlkammer flacken, bis ihr Gerechtigkeit widerfahren würde. Wenn der Oberstaatsanwalt wollte, dass der Sandner und sein Team sich auf seine Mutter fokussierten, müsste er die Dinge gestalten. Zuallererst ist der Jonny an der Reihe, weil greifbar. Mittlerweile hat der wohl die bedauernswerte Oberkommissarin Wiesner aus dem Bett geholt. Die wird längst geschlummert haben, nach dem ereignisreichen Tag. Lieber sollten sich die Ermittler ihre Energie einteilen.
Keiner des Teams, außer dem Sandner, kennt seine Mutter persönlich. Der Brauner humpelt zum Wohnzimmerregal, zieht eine mächtige schwarzlederne Mappe hervor und legt sie vor dem Jonny auf den Tisch. Dann setzt er sich zu ihm.
»Was haben Sie da?«, wird er vom jungen Polizisten gefragt. »Das schauen wir uns jetzt an«, bescheidet ihm der Brauner. Er wischt mit dem Hemdsärmel Staub vom Deckel und schlägt ihn auf. Ein Fotoalbum. Die Bilder ordentlich auf schwarze Seiten geklebt, mit Datum und Ort versehen. Dem Jonny
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