Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
halben Stunde.«
»Wenn von ihm – dann aber, bevor er die Kugel gefangen hat. Hinterher sind bei ihm sofort die Lichter aus. Augenblicklicher Exitus. Sehr präzise abgehandelt.«
Die Spur Anerkennung, welche die Polizistin heraushört, ist der Freude des Mediziners geschuldet, keinen unförmigen Fleischbatzen zusammenpuzzeln zu müssen. Manchmal hast du mit grobmotorischen Metzgern zu tun, die sich am Objekt ihrer Begierde abarbeiten, sodass der Begriff »Übertötung« eine neue Dimension erfährt. Als Polizist bekämst du in so einem Fall sieben Euro siebzig pro Stunde Ekelzulage.
Von Wut oder Rage hat hier nicht die Rede sein können. Es sieht nicht nach Eskalation aus, keine Kampfspuren – eher eine Hinrichtung. Ein kleiner chirurgischer Eingriff, um diese Appendix namens Yilmaz zu entfernen. Der musste weg.
Der Täter hatte sich keine große Mühe gegeben mit der Ortswahl. Gleich neben dem ehemaligen Jaguar-Händler, vielleicht zehn Minuten von Sandners Wigwam entfernt. Eine Mauer umgibt das Grundstück, auf der noch das Raubtier-Emblem prangt, respektive prankt. Erinnerung an bessere Zeiten. Im ummauerten Gelände steht schon lange kein Prestigeobjekt mehr. Daneben ein verwilderter Grünstreifen und ein matschiger Trampelpfad. Dort liegt der Yilmaz auf dem Rücken im Dreck, nicht arg weit von der Straße entfernt. Der Ort hat für ihn keine Bedeutung. Das Sterben wär ihm auch nicht leichter gefallen, wenn er auf Schloss Neuschwanstein im Bett von Ludwig II. gelegen hätte. Wahrscheinlich hat der Mörder nur kurz mit dem Auto angehalten. Aussteigen und bumm. Aus. Dafür brauchst du nicht mehr wie fünfzehn Sekunden. Mittleres Risiko. Nicht einmal die Gastwirtschaft auf der anderen Straßenseite hat ihn gestört. Unwahrscheinlich, gerade in diesem Moment gesehen zu werden – aber nicht auszuschließen. Der anonyme Anruf spricht dafür. Entweder der Anrufer hatte den Schuss gehört und den Mörder flüchten sehen, hielt sich weiter hinten im Gesträuch auf oder ist zufällig vorbeigekommen. Variante drei ist unwahrscheinlich, da er sonst auf den Mörder getroffen wäre. Der hatte wohl nicht die Zeit oder Möglichkeit, es von langer Hand zu planen. Warum nicht? Er könnte sich spontan dazu entschieden haben. Warum musste der Yilmaz heute Nacht sterben? Die Überraschung und der Schmerz sind dem Toten noch in die Züge eingebrannt. Diese Fassungslosigkeit, dieses Nicht-Wahrhaben-Wollen, dass alles Denken zu Brei gestampft werden wird. In diesem Augenblick, der schneller kommt als ein Fingerschnippen. Das Hirn malt noch ein letztes erstauntes »Nein«. Dann ist die Leinwand zerrissen, die Farben verblassen. Was hat er hier gewollt? Hat ihn sein Mörder mit vorgehaltener Waffe hierhergebracht, oder hat er sich freiwillig mit ihm getroffen?
Fürs Gefühl der Wiesner starrt ihr rothaariger Kollege dem Toten eine Spur zu lange ins bleiche Antlitz. Das ist keine Konzentration, sondern Beschäftigung mit eigenen Gespenstern. Memento mori. Sie könnte schwören, ihm ist vor Kurzem etwas Außergewöhnliches widerfahren. Wenn alles eng beieinanderliegt, bringt dich das zum Grübeln. Da bist du durchlässig. Sie selbst hat sich »die Haut« übergestreift. Alles perlt ab, was eindringen will an Gedanken und Impressionen, die nicht an diesen Tatort und zu dieser Leiche gehören. Lang genäht hat sie an der, bis sie perfekt passt und nicht ständig aufreißt an den Nähten. Trotzdem ist sie nicht immer verlässlich. Aktuell ist sie ein polizeiliches Destillat, sonst nichts.
Der Regen wird stärker. Sie hört den Poschner von der Spurensicherung fluchen und seine Männer in seinem unverwechselbaren Hessisch zur Eile antreiben. In ihren weißen Anzügen tummeln sie sich auf der Wiese, wie Freiland-Schäfchen auf saftiger Weide, die Nasen dicht über dem Boden. Eine Patronenhülse wird eingetütet, einige Zigarettenkippen. Eine Tüte vom Discounter, eine halb volle Chipstüte und zwei Bierflaschen finden sie in der Nähe. Alles wird im Labor landen.
Hinter der Absperrung drängeln sich die Leut. Einige haben Schirme dabei, fast alle recken ihre Smartphones in die Höhe. Es sieht aus wie ein Gottesdienst, um das Elektronikgelump zu weihen. Ein Sonnensturm wäre jetzt schick.
Die Wiesner dreht sich nach dem Uniformierten um, der ihr am Nächsten steht. Tatsächlich genau hinter ihr, wie ein Schatten. Wobei ihre Silhouette nur halb so mächtig ist. Es ist ein feister Kerl, Kaugummi kauend, die Hände am Gürtel, offenbar
Weitere Kostenlose Bücher