Der Tod kommt in schwarz-lila
erhoben.
»Ich bin im Haus. Es ist unheimlich hier«, antwortete eine Stimme.
»Komm sofort heraus! Mein Vater sagt, das Haus ist baufällig. Es kann jederzeit einstürzen«, rief die Blonde der Unsichtbaren zu.
»Aber es gefällt mir hier. Ich möchte mich doch nur ein bisschen umsehen«, hallte es durch den Flur.
»Komm jetzt oder ich fahre weiter«, antwortete das blonde Mädchen. »Du weißt genau, dass du auf mich hören sollst. Sonst sage ich es Onkel Johann!«
Er wagte kaum zu atmen und horchte angestrengt auf jede Bewegung im Flur. Die Schritte entfernten sich wieder. Erleichtert glitt er zurück zum Fenster. Da tauchte das andere Mädchen auf. Sie hatte dunkelbraunes, kurz geschnittenes Haar, ein bubenhaftes Gesicht und wirkte um einiges jünger als die Blonde.
»Wie weit ist es noch?«
»Dort hinter den Dünen liegt Sophiensiel. Es sind vielleicht noch zwei Kilometer.«
»Wie spät ist es?«
Die Blonde schaute auf ihre Armbanduhr. »Es ist kurz nach zwei.«
»Dann lass uns fahren. Umso mehr Zeit bleibt uns bei den Pferden.«
Das blonde Mädchen erhob sich. Gemeinsam falteten sie die Decke zusammen. Schließlich fuhren sie nach Westen davon.
Er war fast ein wenig traurig. Er schaute den beiden nach, bis sie hinter der Düne verschwunden waren. Vielleicht würden sie wieder zurückkommen. Heute Abend.
Das Gesicht des blonden Mädchens ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er setzte sich mit dem Rücken zur Wand unter das Fenster und schloss die Augen. Vielleicht war es heute nicht notwendig, auf den Mann aufzupassen und ihn zu verfolgen. Es hatte Zeit bis morgen. Morgen würde er sich wieder seiner Aufgabe widmen. Heute wollte er hier warten. Hatte nicht jeder gute Arbeiter einmal in der Woche einen freien Tag für sich? Er wollte das blonde Mädchen unbedingt wieder sehen. In seinen Gedanken schmiegte er seine Wangen an die ihrigen. Legte seine Arme um ihren Körper, streichelte ihr die Haare.
Er sah ihr Gesicht vor seinen geschlossenen Augen, doch plötzlich begann es zu flimmern. Er versuchte das Gesicht festzuhalten, doch es löste sich auf, wie Morgentau im grellen Sonnenlicht. Ein anderes Gesicht nahm den Platz ein. Das strenge Gesicht. Es blickte ihn vorwurfsvoll an.
»Nein, lass mich …«, stammelte er. Dann spürte er die Schmerzen. Das Brennen in seinem Körper wurde unerträglich. Das Gesicht lachte diabolisch. Die Schmerzen nahmen zu. Er krümmte sich am Boden, doch es half nichts.
»Vater, warum tust du mir das an?«, wimmerte er erschöpft. »Es ist nicht gerecht. Ich habe getan, was du wolltest. Sogar Mutter habe ich die Tränen und den Schmerz genommen.«
»Blut für Blut«, antwortete ihm das Gesicht.
Die Stille schmerzte in seinen Ohren.
*
Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Aber er fühlte sich, als ob er zu viel getrunken hatte. In seinem Kopf hämmerte und pochte es, doch der quälende Schmerz in den Eingeweiden war verschwunden. Er richtete sich auf. Er musste sich am Tisch abstützen, um auf die Beine zu kommen. Draußen schien noch immer die Sonne. Wolken zogen von Westen über das Land. Er schlich sich vorsichtig aus dem Haus. Niemand war in der Nähe. Er wankte hinüber zum Schuppen. Vorbei an dem Platz, wo die beiden Mädchen ihre Decke ausgebreitet hatten. Noch waren ihre Spuren im Sand zu sehen.
Plötzlich blieb er stehen. Auf dem Boden lag etwas. Er bückte sich und griff danach. Es war ein Haarband aus rosa Frotteestoff. Er erinnerte sich, dass das blonde Mädchen dieses Haarband an ihrem Handgelenk getragen hatte. Er roch daran. Es duftete nach frischen Blumen. Tief zog er den Duft in seine Nase. Er schloss die Augen. Das blaue Gesicht trat aus dem Schatten hervor. Es lächelte ihm zu.
»Danke, ich danke dir. Du bist so gut zu mir. Sag ihm bitte nichts davon. Es soll unser Geheimnis bleiben«, flüsterte er in die Einsamkeit. Er steckte das Haarband in seine Hosentasche und ging hinüber zum Schuppen. Dann öffnete er das Tor und holte den kleinen Fiat heraus. Er verriegelte den Schuppen und setzte sich hinters Steuer. Langsam fuhr er den sandigen Weg entlang. Als er bei Sophiensiel auf die Landstraße einbog, gab er Gas.
Seine Beute wartete.
*
Patricia Maxdorf überflog die Zeilen. Dann griff sie zu dem Stift, der vor ihr auf dem Tisch lag, und setzte ihre Unterschrift unter das Dokument.
»Noch zweimal, bitte.« Alex Uhlenbruch wies auf die weiteren Blätter, die auf dem Tisch lagen.
Patricia Maxdorf unterschrieb auch diese beiden Formulare,
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