Der Tod kommt in schwarz-lila
Lenz. »Es könnte Wilhelmshaven gewesen sein. Mir sind nur noch die Zahlen zwei und fünf in Erinnerung.«
Auch hier war ihr Mann etwas anderer Meinung. Doch auch er war sich nicht sicher. Die Zahlen zwei und fünf bestätigte er dennoch.
»Ist Ihnen sonst noch irgendetwas aufgefallen?«
»Ich sah seine Hände«, erwiderte die Frau nachdenklich. »Wenn ich es mir recht überlege, ich glaube, ein Finger fehlte an einer Hand.
Ich bin mir aber nicht hundertprozentig sicher.«
*
Die Turmuhr schlug zwölfmal. Mitternacht. Dichte Wolken verhüllten das Gesicht des Mondes. Im Schein der Taschenlampe spiegelte sich der grausilberne Stahl der Feuerleiter. Den Wagen hatte er ein paar Straßen entfernt abgestellt. Den Rest des Weges war er zu Fuß gegangen. Er trug einen dunklen Jogginganzug und dunkelgrüne Turnschuhe. Ein Rucksack hing über seiner Schulter. Keine Menschenseele befand sich in der Nähe. Er lauschte in die Nacht. Nichts weiter als die nächtlichen Geräusche des Dorfes waren zu hören. Zweimal war er um das freistehende Gebäude geschlichen. Ein einzelner Wagen stand auf dem Parkplatz und das beunruhigte ihn. Das nächste Wohnhaus war über fünfhundert Meter entfernt. Das Licht in den Fenstern der Häuser war längst schon erloschen. Der Sonntag ging unbemerkt in den Montag über. Das Wochenende war vorbei.
Er wartete noch ein paar Minuten, dann griff er in den Rucksack.
Es dauerte eine Weile und der Schweiß brach ihm aus den Poren, ehe das Kettenglied nachgab. Lautlos klappte er die Leiter herab. Vorsichtig stieg er die Tritte empor. Auf dem flachen Dach blickte er sich um. Das Oberlicht lag nur wenige Schritte entfernt. Im Schein der Taschenlampe löste er die Verschraubung. Es war schwer, mit den Handschuhen den Schraubendreher zu führen. Dennoch behielt er sie an. Es durfte keine Spuren geben. Er holte ein Seil hervor und knotete es an der Einfassung des Dachfensters fest. Dann stieg er ein und hangelte sich bis zum Boden hinab. Er kniete sich nieder und spähte in die Dunkelheit. Hatte man ihn gehört? Er schlich weiter. In den Regalen suchte er nach allem, was er brauchte. Brot, Wurst, Butter, Coladosen, ein paar Tafeln Schokolade, dann wandte er sich dem Kühlregal zu.
Drei Dosen Matjessalat wanderten in seinen Rucksack. An die Kassen wagte er sich nicht. Er wusste, dass sie über das Wochenende sowieso leer waren. Manche waren sogar alarmgesichert.
Plötzlich drang Motorenlärm von draußen herein.
»Verdammt!«, fluchte er leise. Der Scheinwerfer eines Wagens erleuchtete durch das Schaufenster das Innere des Marktes.
Er warf sich auf den Boden.
»Wenn das die Polizei ist, dann ist alles vorbei«, fuhr es ihm durch den Kopf. Panik befiel ihn. Was sollte er tun?
Er schlich auf das Fenster zu. Vorsichtig schob er seinen Kopf empor. Draußen stand ein Wagen. Der Motor lief und die Scheinwerfer brannten. Im Widerschein des reflektierenden Flutlichts erkannte er einen Mann und eine Frau. Sie küssten sich. Das war sicher nicht die Polizei. Erleichtert setzte er sich auf den Boden. Sein Mund war ausgetrocknet. Nur ein Gedanke beherrschte ihn: weg hier, nichts wie weg. Es war nicht leicht, die Ruhe zu bewahren. Die Fratze erschien vor seinen Augen und war böse auf ihn. Seine Hände zitterten. Dann hörte er den dumpfen Knall einer Autotür. Er schloss die Augen. Tief duckte er sich zwischen die Regale. Bald darauf hörte er erneut eine Wagentür. Er riskierte einen Blick.
Erneut drang Motorenlärm von draußen herein. Wenig später entfernten sich beide Wagen. Dunkelheit und Stille kehrten zurück. Er atmete auf.
Eine Viertelstunde später verschwand auch er. Das Seil ließ er zurück. Wie ein Schatten tauchte er in die Dunkelheit ein.
16
Das Wochenende war einem tristen und verregneten Montagmorgen gewichen. Trevisan hatte sich mit seiner Tochter ausgesöhnt. Wie nie zuvor war ihm bewusst geworden, dass aus Paula langsam eine junge Frau wurde. Das kleine Mädchen wurde erwachsen. Wie hatte er das nur übersehen können? Wo waren bloß all die Jahre geblieben? Er erinnerte sich noch gut an die Zeit, als er sie auf den Armen getragen und ihr die Flasche gegeben hatte, bis sie endlich eingeschlafen war.
Er hatte ihr erklärt, warum er noch immer gegen die Bootstour war. Aber nicht wie ein Vater, sondern wie ein Freund. Sie hatte ihn verstanden. Er hatte sie in seine Arme genommen und sie fest an sich gedrückt. Wann hatte er das zuletzt getan? Es fiel ihm nicht mehr ein.
Den
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