Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
verlassen haben, sehr aufmerksam suchen. Außerhalb der Kutsche sehen und hören wir besser.«
Sie stiegen mit den Laternen aus, und wie Darcy es erwartet hatte, setzte sich der Colonel an die Spitze. Das weiche Falllaub dämpfte ihre Schritte so sehr, dass Darcy kaum mehr als das Knarzen der Kutsche, das heftige Schnauben der Pferde und das Klirren der Zügelleinen hörte. Mancherorts bildeten die Äste hoch oben ein dichtes Gewölbe, durch das Darcy dann und wann den Mond sah, und der Wind war in der abgeschiedenen Düsternis gerade noch als schwaches Rauschen der dünnen Zweige in der Höhe zu vernehmen, als wären sie auch jetzt noch Heimstatt zwitschernder Frühlingsvögel.
Wie immer, wenn er im Wald war, dachte Darcy an seinen Urgroßvater. Der Zauber dieses Orts musste für den längst verstorbenen George Darcy nicht zuletzt in dessen Vielfältigkeit gelegen haben, in den versteckten Pfaden und unerwarteten Ausblicken. Hier, in seiner abgeschiedenen, baumbewehrten Zuflucht, in der Vögel und kleines Getier ungehindert bis an sein Haus herankamen, konnte er sich eins mit der Natur fühlen, dieselbe Luft atmen und vom selben Geist durchdrungen sein. Wenn Darcy als Kind im Wald gespielt hatte, empfand er stets Mitleid für seinen Urgroßvater, und schon früh war ihm bewusst geworden, dass dieser selten erwähnte Darcy, der sich der Verantwortung für das Anwesen entzogen hatte, der Familie als Schande galt. Bevor er seinen Hund Soldier und sich selbst erschoss, hatte er einen kurzen Brief mit der Bitte geschrieben, gemeinsam mit dem Tier begraben zu werden. Doch die Familie hatte den unfrommen Wunsch nicht erfüllt, sondern George Darcy bei seinen Vorfahren in der abgetrennten Familiensektion des Dorffriedhofs bestattet, während Soldier im Wald ein eigenes Grab mit einem Stein aus Granit bekam, in den nur sein Name und das Todesdatum eingemeißelt waren. Schon als Kind hatte Darcy gewusst, dass sein Vater die Befürchtung hegte, es könnte eine erbliche Schwächlichkeit in der Familie geben, weshalb er den Sohn von Anfang an auf die große Verpflichtung vorbereitete, die dieser mit dem Erbe übernehmen würde, auf die Verantwortung, die kein ältester Sohn ablehnen durfte und die nicht nur dem Anwesen galt, sondern auch allen, die darauf dienten und davon abhingen.
Colonel Fitzwilliam ging, die Laterne von einer Seite zur anderen schwenkend, langsam voran. Hin und wieder blieb er stehen und suchte das dichte Blätterwerk nach Anzeichen dafür ab, dass sich jemand einen Weg hindurchgebahnt hatte. Darcy kam der ein wenig boshafte Gedanke, dass der Colonel ganz in seiner Rolle als der geborene Anführer aufging. Ihm, Darcy, war elend zumute, während er vor Alveston dahinstapfte, doch gelegentlich stieg mit der Wucht einer anbrandenden Welle die Wut in ihm hoch. Würde er George Wickham denn nie los sein? In diesem Wald hatten sie als Knaben miteinander gespielt, und jene Zeit hatte er lange als sorglos und glücklich in Erinnerung behalten. Aber war es je echte Freundschaft gewesen? Hatte der junge Wickham vielleicht schon damals Neid, Verachtung und Abneigung ihm gegenüber empfunden? Die wilden Kinderspiele und Raufereien, die manchmal mit Blutergüssen geendet hatten – war Wickham damals vielleicht absichtlich zu ungestüm gewesen? Jetzt fielen ihm wieder die spitzen, verletzenden Bemerkungen ein, an die er jahrelang nicht gedacht hatte. Wann hatte Wickham Rache geschworen? Zu wissen, dass seine, Darcys, Schwester der gesellschaftlichen Ächtung und Schande nur entgangen war, weil er über die Mittel verfügt hatte, um sich das Schweigen des Möchtegern-Verführers zu erkaufen, war so grauenhaft, dass er beinahe laut aufstöhnte. Er hatte versucht, die Demütigung mit Hilfe seines Eheglücks zu vergessen, doch jetzt war sie wieder da, stärker geworden in all den Jahren, in denen er sie zurückgedrängt hatte, eine unerträgliche Bürde aus Scham und Selbstekel, die ihn umso mehr verbitterte, als Wickham die Ehe mit Lydia Bennet nur aufgrund des von ihm stammenden Geldes hatte schließen können. Die großzügige Geste war seiner Liebe zu Elizabeth entsprungen, doch eben durch seine Heirat mit Elizabeth war Wickham zum Familienmitglied geworden und hatte das Recht erlangt, Darcy seinen Schwager zu nennen und sich selbst als Onkel von Fitzwilliam und Charles zu bezeichnen. Von Pemberley hatte er Wickham fernhalten können; aus seinen Gedanken jedoch ließ er sich nicht verbannen.
Nach fünf Minuten
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