Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
Wiege zwei pummelige Füßchen auftauchten und das Kind zu weinen begann. Mrs. Bidwell warf einen besorgten Blick nach oben, wo ihr Sohn lag, eilte zur Wiege und hob den Säugling heraus. In diesem Augenblick ertönten Schritte auf der Treppe, und Louisa Bidwell kam herunter. Im ersten Augenblick erkannte Elizabeth das Mädchen gar nicht. Seit sie den Bidwells als Herrin von Pemberley Besuche abstattete, war Louisa ein fröhliches Mädchen und ein Ausbund an Gesundheit gewesen mit ihren rosigen Wangen und glänzenden Augen, stets frisch wie ein Frühlingsmorgen in ihrer sorgsam gebügelten Arbeitskleidung. Jetzt sah sie zehn Jahre älter aus, war blass und abgehärmt. Sie trug das ungekämmte Haar aus dem müden, kummervollen Gesicht nach hinten zusammengerafft, und ihr Kittel war voller Milchflecken. Sie nickte Elizabeth kurz zu, entriss ihrer Mutter wortlos das Kind und sagte: »Ich gehe mit ihm in die Küche, falls er Will weckt. Ich setze schon einmal die Milch und die feinen Haferflocken für ihn auf, Mutter, vielleicht isst er das ja.«
Schon war sie verschwunden. Um das Schweigen zu brechen, sagte Elizabeth: »Ein kleiner Enkel im Haus bedeutet sicherlich viel Freude, aber auch große Verantwortung. Wie lange bleibt denn das Kind? Seine Mutter möchte ihn doch bestimmt gern zurückhaben.«
»Ja, gewiss, Madam. Es war sehr schön für Will, das Kind zu sehen, aber er hört es nicht gern schreien, obwohl das ja ganz natürlich ist, wenn es Hunger hat.«
»Wann kommt der Kleine wieder nach Hause?«
»Nächste Woche, Madam. Der Mann meiner ältesten Tochter, Michael Simpkins – ein guter Mann, wie Sie wissen –, holt Louisa und das Kind in Birmingham von der Postkutsche ab und bringt es nach Hause. Wir warten nur noch darauf zu erfahren, an welchem Tag es ihm passt. Er hat viel zu tun und kann die Werkstatt nicht einfach verlassen, aber meine Tochter und er können es kaum erwarten, den kleinen Georgie wieder bei sich zu haben.« Die Anspannung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Elizabeth spürte, dass es Zeit war zu gehen. Sie verabschiedete sich und nahm noch einmal Mrs. Bidwells Dankesworte entgegen. Kaum war sie aus dem Haus getreten, wurde die Tür hinter ihr geschlossen.
Das Unglück, dessen Zeugin sie soeben geworden war, machte ihr das Herz schwer und verwirrte ihre Gedanken. Warum war der Vorschlag, die Bidwells sollten nach Pemberley ziehen, auf solches Entsetzen gestoßen? War das Angebot taktlos gewesen, eine unausgesprochene Andeutung, dass der sterbende Junge in Pemberley eine bessere Pflege erhalten würde, als die liebende Mutter ihm zu Hause angedeihen lassen konnte? Nichts hätte ihr ferner gelegen. Glaubte Mrs. Bidwell wirklich, ihr Sohn würde den Umzug nicht überleben? Aber welche Gefahr drohte denn, wenn er warm eingepackt auf einer Trage transportiert würde und Dr. McFee ihn die ganze Zeit über begleitete? Nichts weiter hatte der Vorschlag besagt, doch für Mrs. Bidwell schien von der Idee eines Umzugs größeres Grauen auszugehen als von der Möglichkeit, dass ein Mörder im Wald umherschlich. In Elizabeth kam ein Verdacht auf, der an Gewissheit grenzte, über den sie jedoch weder mit Georgiana noch mit Alveston sprechen konnte, den sie vielleicht sogar überhaupt keinem Menschen offenbaren durfte. Wieder sehnte sie sich nach Jane; doch es war gut, dass die Bingleys gefahren waren. Janes Platz war bei ihren Kindern, und Lydia hatte es von Highmarten aus näher zum Gefängnis, wo sie ihren Mann wenigstens besuchen konnte. Die Erkenntnis, dass das Leben in Pemberley ohne Lydias heftige Stimmungswechsel und ihr ständiges Jammern und Klagen weniger anstrengend war, brachte Elizabeth noch mehr durcheinander.
Mit diesem Wirrwarr aus Gedanken und Gefühlen beschäftigt, hatte sie ihren beiden Gefährten kaum Beachtung geschenkt. Nun sah sie, dass sie gemeinsam am Rand der Lichtung entlangspaziert waren und zu ihr hinüberblickten, als warteten sie, dass sie zu ihnen käme. Sie riss sich aus ihrer inneren Abwesenheit, ging auf Georgiana und Alveston zu, zog ihre Uhr hervor und sagte: »In zwanzig Minuten kommt der Landauer zurück. Setzen wir uns noch ein wenig, solange die Sonne scheint? Die letzte Wärme des Jahres wird uns sicherlich gut tun.«
Auf der Bank hatte man das Cottage im Rücken und den Blick auf einen Abhang, der sich in der Ferne zum Fluss senkte. Elizabeth und Georgiana nahmen am einen Ende der Bank Platz, Alveston am anderen. Er streckte die Beine vor
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