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Der Tod kommt wie gerufen

Der Tod kommt wie gerufen

Titel: Der Tod kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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hin. Das Summen wurde zu einem hektischen Brummen, als die Fliegen davonstoben, deren Körper im Sonnenlicht irisierend glitzerten.
    Die meisten Leute ekeln sich vor Fliegen. Und das aus gutem Grund. Wie diejenigen, die mir jetzt um Gesicht und Haare schwirrten, ernähren sich viele Arten von organischem Material. Sie sind allerdings nicht sehr wählerisch. Ob Fäkalien oder Cheeseburger, es ist alles nur Fressen. Wie jedes Fleisch, ob menschlichen oder anderen Ursprungs.
    Wenn auch widerwärtig, so sind aasfressende Insekten doch nützliche Zeitgenossen. Da sie ausschließlich an Fressen und Vermehrung interessiert sind, beschleunigen sie den unausweichlichen Verlauf der Verwesung. Als Schüsselfiguren im Recycling-Plan
der Natur arbeiten sie eifrig daran, die Toten der Erde zurückzugeben. Vom forensischen Gesichtspunkt her sind Käfer einfach Klasse.
    Aber im Augenblick ignorierte ich sie.
    Ich ignorierte auch den Gegenstand ihres Interesses, stellte nur fest, dass er lose in eine blaue Plastikplane eingewickelt war, wobei ich nicht erkennen konnte, ob das absichtlich passiert war oder die Leiche sich zufällig darin verheddert hatte, als sie im See trieb.
    Was mir allerdings auffiel, war das Fehlen von Geruch. Das war merkwürdig bei den warmen Temperaturen der letzten Zeit. Wenn die Leiche wirklich schon seit Dienstagvormittag hier lag, dann sollte es unter diesem Plastik eigentlich brodeln.
    Ich stand auf und untersuchte die unmittelbare Umgebung. Keine Schuhabdrücke. Keine Reifenspuren. Keine Schleifspuren.
    Keine weggeworfenen Schuhe oder Kleidungsstücke. Keine frisch umgedrehten Steine.
    Kein Kopf.
    In weniger als einer Minute übertönten Motor- und Reifengeräusche das Summen der Caliphoridae.
    Ich schaute zur Straße.
    Larabee kam, Kamera in einer Hand, Ausrüstungskoffer in der anderen, auf mich zu. Hawkins öffnete eben die Hecktüren des Transporters. Beide trugen Tyveck-Overalls.
    Die Fliegen drehten durch, als Larabee zu mir kam.
    »Schmeißfliegen. Ich hasse Schmeißfliegen.«
    »Warum Schmeißfliegen?«
    »Das Geräusch. Dieses Brummen ist mir unheimlich.«
    Ich berichtete Larabee, was Radke gesagt hatte.
    Der ME schaute auf die Uhr. »Wenn Funderburke recht hat, dann haben wir einen Zeitrahmen von ungefähr achtundvierzig Stunden.«
    »Achtundvierzig Stunden hier«, sagte ich und deutete auf den Boden.

    Leute neigen dazu, Leichen zu bewegen. Wasser ebenfalls. Das PMI konnte achtundvierzig Stunden oder achtundvierzig Tage betragen.
    So oder so, stinken müsste es hier auf jeden Fall.
    »Stimmt.« Larabee wischte sich eine Fliege von der Stirn.
    Während Hawkins fotografierte und Videoaufnahmen machte, gingen Larabee und ich am Ufer entlang. Neben uns leckten die Wellen gleichgültig am Schlamm.
    Danach machten wir uns an eine systematische Durchsuchung des Waldstücks, gingen nebeneinander her und suchten mit Augen und Füßen. Wir entdeckten nichts Verdächtiges. Keinen Kopf.
    Als wir zur Leiche zurückkehrten, fotografierte Hawkins noch immer. Slidell und Rinaldi waren bei ihm. Obwohl es unnötig war, drückte sich jeder Detective ein Taschentuch auf die Nase. Das eine war aus Leinen und trug ein Monogramm. Das andere war aus rotem Polyester. Was einem nicht alles auffällt.
    »Das sollte reichen.« Hawkins ließ die Kamera auf die Brust sinken. »Sollen wir den Korken knallen lassen?«
    »Markieren Sie das Plastik, wo Sie es aufschneiden.« Larabees Stimme klang flach. Ich vermutete, dass er so wenig begeistert war wie ich.
    Mit einem Scripto-Stift malte der Todesermittler eine Linie auf das Plastik und schnitt dann an ihr entlang. Sollte man je diese Plane mit einer Rolle abgleichen müssen, von der sie eventuell stammte, würden die Schnittspurenspezialisten Hawkins’ Klingenspuren sehr leicht von denen unterscheiden können, die der Täter verursacht hatte, als er die Plane abschnitt.
    Die Leiche lag auf dem Bauch, die Beine angezogen, Brust und Gesicht auf der Erde. Hätte sie ein Gesicht gehabt. Der Torso endete in einem Stumpf zwischen den Schultern, der von Fliegeneiern gesprenkelt war. Auch der Anus zeigte moderate Insektenaktivität.
    »Nackt wie Gott ihn schuf.« Durch rotes Polyester gesprochen.

    Während Hawkins noch einmal zu fotografieren anfing, zogen Larabee und ich uns Gesichtsmasken über und traten an die Leiche.
    »Sieht jung aus«, sagte Rinaldi.
    Ich stimmte ihm zu. Die Gliedmaßen waren schlank, der Körper kaum behaart, und die Füße zeigten keine vergrößerten

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