Der Tod macht den letzten Schnitt
Frank.»
«Zu dieser Miss Charles, Chef...» fing
Mullin an.
«Zuerst Namen und Adressen der
Personen, die wir gestern nicht gesprochen haben, Mullin. Helfen Sie Doreen.»
«Wird gemacht, Chef.»
Newton wußte noch nicht, wie verläßlich
Mullin arbeitete. Und wann würde endlich jemand diesem Hirsch sagen, dieses
grauenhafte «Chef» wegzulassen?
«Wer hat Henry Titmouses Aussage
protokolliert? Einer der Garderobiers.» Eine Hand kam hoch. «Ich will wissen,
wann Titmouse den Anästhesiekittel zum letztenmal gesehen oder in Händen gehabt
hat. Oder ob er sich an irgend etwas sonst erinnert.»
«Alles klar, Sir.»
«Die Bühnenmeisterin — Alix Baxter. Hat
George seinen Bericht über die Beweisstücke abgeliefert? Ich will wissen, ob
die Mordwaffe im Blechkasten gelegen hat, als sie ihn gestern morgen auf
sperrte.»
Die Untersuchung war angelaufen.
Frank Newton atmete durch — Routine als
Balsam für Leib und Seele wurde ihm langsam unentbehrlich, obwohl er ein
schlechtes Gewissen hatte. Das war es ja, was Jean mit
gemeint hatte, er konnte in ein zweites Leben fliehen, sie saß fest.
Versuchsweise hatte er ihr einmal einen Teilzeitjob in einem Büro
vorgeschlagen, aber sie hatte nur höhnisch gelacht. Ein Büro, jedes Büro, hieße
doch nur, ein Gefängnis mit dem nächsten zu vertauschen! bedeutete sie ihm.
Verstünde er denn nicht, was das bei einer Künstlernatur anrichten könnte?
Newton schaltete zurück in die
Gegenwart. Sein Bedarf an Künstlern wurde durch diesen Fall mehr als gedeckt.
Dann warteten noch die Zeugenaussagen im Todesfall des Junkies von letzter
Woche. Er verkürzte die Einsatzbesprechung. «Gehen wir an die Arbeit. Wir sehen
uns um vier heute nachmittag.»
Straße in London W1. Morgendliche
Rush-hour
Mr. Pringle kämpfte sich durchs Gewühl
hektischer Pendler zur Innenseite des Bürgersteigs durch, weil er nach ein paar
Metern rechts abbiegen mußte.
Er war unnötig früh unterwegs, aber es
drängte ihn zur Arbeit. Gestern, beim Anblick der braunen Umschläge der
Steuerunterlagen, war ihm ganz warm ums Herz geworden, weil sich ihm das so
sinnvoll verknüpfte Finanzwesen von England und Wales, bedingt durch
Fallowfields wechselvolle Karriere, neu erschlossen hatte. Wie herrlich müßte
es sein, mit zusammengeschalteten Terminals zu arbeiten, im Vergleich zum
mühseligen Behördenverkehr früherer Zeiten.
Dieselben braunen Umschläge hatten in
ihm aber auch den halb vergessenen Ehrgeiz geweckt, ein finanzielles Chaos
erfolgreich zu entwirren.
Er blieb kurz stehen und atmete den
wilden Duft einer Londoner Wiese ein: Auspuffgase, vermischt mit dem fauligen
Geruch der schwarzen Plastiksäcke, die seit abends vor den Bürogebäuden lagen.
Er erreichte die Querstraße und löste sich aus dem wogenden Gedränge.
In ruhigeren Sohogewässern analysierte
Mr. Pringle seine neue Gemütslage. Warum eigentlich war er so heiter? Seit er
seine Dienste angeboten hatte, waren Leute mit ihren Problemen zu ihm gekommen
und hatten sich dafür bedankt, daß er sie für sie gelöst hatte — von
gelegentlichen Enttäuschungen einmal abgesehen, und genau da lag der Grund: Das
Fehlen jedweden Drucks, das war’s. Zum erstenmal seit Ewigkeiten hatte Mr.
Pringle das befreiende Gefühl, sein Arbeitstempo selbst bestimmen zu können. Ob
das Seniorenalter doch Vorteile mit sich brachte?
Vor sich erkannte er zwei Leute von
gestern, die ins Studio hasteten. Er verlangsamte seinen Schritt und bummelte
die Straße entlang, weil er nicht eintreffen wollte, wenn der Mann am Empfang
mit Garderobenschlüsseln beschäftigt war. Außerdem gab es heute noch etwas
auszukosten. Er sollte einen zeitlich begrenzten Betriebsausweis bekommen, mit
anderen Worten, er würde fotografiert werden. Und fiele das Foto schmeichelhaft
aus, würde er um einen Abzug für Mrs. Bignell bitten. Er überlegte, ob er es
wagen könnte, auch um eine Sitzung in der Maske zu bitten. Einmal, beim Bath
& Wells-Fernsehen, hatte eine Kosmetikerin ihm das Haar gewaschen,
geschnitten und gefönt. Mr. Pringle erinnerte sich ausgesprochen gern daran,
nicht zuletzt, weil später Mavis ihr Wohlgefallen auf das angenehmste zum
Ausdruck gebracht hatte.
Ein Personenwagen hielt etwa an der
Stelle, an der gestern der Rolls-Royce verkrallt worden war. Der Fahrer ließ
den Blick über die Häuserfassade laufen, als suchte er nach einer Adresse. Mr.
Pringle sah sich besorgt nach der Verkehrsaufsicht um. Sollte er den
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