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Der Tod meiner Mutter

Der Tod meiner Mutter

Titel: Der Tod meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Diez
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mochte es
     meine Mutter, wie sie von diesen Frauen angefasst wurde, mal nicht. Es lagen nun Mappen aus Plastik auf dem Tisch, in die
     die Pflegerinnen eintrugen, was sie gemacht hatten und wie lange sie es gemacht hatten: ausgezogen, gewaschen, angezogen,
     ein wenig Küche, ein wenig Essen, das Bett, gelüftet, die Medikamente, die Toilette. Es war nun die Routine des Krankseins,
     in der sie angekommen war, und es war mal traurig, mal tröstlich, es war der Rhythmus, den ihr Leben genommen hatte, eine
     fremde Frau mit einem großen Schlüsselbund betrat ihre Wohnung und setzte sie auf die Kloschüssel und sah sie nackt und schwach
     und nahm einen Schwamm und fuhr ihr über den Rücken damit.
    »Nächste Woche wollte ich kommen.«
    Ich hatte einen Kollegen, dessen Mutter tablettensüchtig war und im Krankenhaus behandelt wurde, bis sie aufstand und einfach
     nach Hause ging, und er musste hinfahren und sich um sie kümmern. Ich hatte einen anderen Kollegen, dessen Mutter gestürzt
     war und über Kopfschmerzen klagte, bis sie ins Koma fiel, und er wusste nicht, ob sie je wieder gesund werden würde. Ich konnte
     diese beiden Kollegen hören, wie sie im Haus drinnen sprachen, die Konferenz war vorbei, ich hielt das Handy in der Hand und
     hörte auf das Schweigen meiner Mutter. Zwischen Leiden und Lethargie legt sichleicht ein Gefühl fast von Euphorie, ganz ohne Grund und darum umso stärker.
    »Corinna lässt dich auch grüßen.«
    Wir waren in einer Arztpraxis, die eingerichtet war wie eine Hotellobby, und der Arzt sah zu gut aus für einen Arzt. Er drückte
     auf einen Knopf, die Fensterläden schlossen sich, es wurde dunkel im Zimmer, etwas Jazz wehte umher, und das Bild, das jetzt
     groß die Wand ausfüllte, war unser Kind und war es auch nicht. Die Stirn war gewölbt, die Hand hielt es am Kinn, es schien
     zu lächeln, orange flimmerte das Bild, das Kind schwebte durch einen Raum, den der Computer gebaut hatte. Hallo. Es ist beeindruckend,
     was die Medizin kann, es ist aber auch beängstigend. Meine Frau und ich saßen da und starrten dem Mädchen ins Gesicht. Ich
     wusste nicht, wer weiter weg war, meine Mutter oder mein Kind.
    »Hörst du mich?«
    Ich hatte schon auf der Autobahn gemerkt, dass es ein Fehler gewesen war. Wir hätten nicht fahren sollen. Wir hätten uns die
     Zeit nehmen sollen und bei ihr bleiben. Jeder Meter Straße schien falsch, jedes Haus mit Blumen davor schien falsch, jeder
     Baum schien falsch. Zu schön, zu falsch. Und jedes Wort störte, das nichts von ihr wusste, und das waren fast alle Worte an
     diesem Wochenende, ein Treffen der Familie meines Vaters, die falsche Zeit, die falschen Menschen. Es zerstreute mich auf
     eine Art, wie ich es nicht wollte, ich wollte mich nicht verlieren in dieser Anstrengung, sie nicht zuverlieren. Meine Frau war aus Frankfurt gekommen, wo sie inszenierte, ich war aus Berlin gekommen, wo ich unsere alte Wohnung
     aufgelöst hatte, ich war zu schwach und zu schwankend gewesen, um zu merken, wie schwer es war, über Schwangerschaft und Schweinswürstchen
     zu sprechen, mitten auf der Schwelle, wenn jede Minute verstrich und jede Minute spürbar war.
    »Aber Doktor Koschine war schon da?«
    Das Haus, in das wir Ende September gezogen waren, gefiel mir wegen seiner Fremdheit. Es hatte nichts, was ich kannte, es
     stand in diesem Berlin wie ein Haus ohne Antwort, es war gerade dadurch offen und vertraut, fast von Anfang an. Ich ging durch
     die Zimmer und trat nur leicht auf, ich machte das Fenster auf und hörte auf den Verkehr, ich schloss das Fenster wieder und
     hörte auf die Stille. Wenn ich aus dem Haus kam, wurde die Fremdheit zu einer körperlichen Erfahrung. Wenn ich auf das Haus
     zuging, wusste ich nicht, was mich erwartet, und ich war jedes Mal überrascht, wenn ich den Schlüssel ins Schloss steckte
     und die Tür aufging. Abends waren die großen Fenster erleuchtet, ich konnte in die Wohnungen gegenüber schauen, manchmal wurde
     in der Vorhalle eine Vernissage gefeiert, dann standen dort lauter Leute, die schön waren und rauchten. Auf dem Weg von der
     U-Bahn zum Haus gab es nur einen Laden, in einem Glaspavillon, zu elegant eigentlich für jede Art von Geschäft. Ein Rollstuhl
     stand hier im Schaufenster, eine dürre Grünpflanze, eine Art Wanne, in die alte Leute pinkeln können, ein grünerGummiball und eine weiße Puppe ohne Gesicht, nur Leere, wo sonst Augen und Mund sind. Die Puppe trug einen blau-weißen Kittel,
     den man am

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