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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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sah einfach zurückgeblieben aus, wenn sie so ging.
    Wir schoben unsere Fahrräder mit weniger Mühe als erwartet über das Blaubeergrundstück. Dennoch schwitzte ich, als wir die Straße auf der anderen Seite erreicht hatten. Wir fuhren mit unseren Kinderfahrrädern ohne Gangschaltung in Richtung des Ladens, links und rechts stand dichter Wald. Obwohl keine Autos auf der Straße waren, hielt sich Lucy ganz weit rechts, sodass sie manchmal vom Asphalt abkam und in den Sand fuhr, doch ich sagte nichts. Als wir uns der Kreuzung mit der Rue Lido näherten, streckte sie als Signal zum Abbiegen die linke Hand aus, obwohl kein einziges Auto in Sichtweite war. Ich musste mir das Lachen verkneifen, schließlich wollte ich sie ermutigen, diese Fahrt zu wiederholen.
    Wir fuhren auf den Parkplatz neben dem kleinen Laden und ließen unsere Fahrräder dort stehen. Drinnen kaufte ich Eier und Milch für Mutter, die Bonbonknöpfe und Kräuterbonbons für Lucy, Lakritzschnüre und Erdnusskaramell für mich und ein Päckchen Kaugummi für Isabel, weil ich wusste, dass sie damit gern vertuschte, dass sie rauchte. Ich legte die Tasche mit unseren Einkäufen in meinen Fahrradkorb, und wir machten uns auf den Rückweg.
    Wir radelten bereits den lang gestreckten Beach Boulevard entlang, als ich irgendwo hinter uns einen Lastwagen hörte. Ich blickte über die Schulter, um sicher zu sein, dass Lucy sich schön rechts hielt, und sah, dass sie fast am Waldrand entlangfuhr. Dann erblickte ich den Wagen: Es war der Moskito-Truck, der auf uns zukam und dichte Nebelschwaden von DDT hinter sich her zog.
    Der Moskito-Truck fuhr ungefähr einmal die Woche durch Bay Head Shores und besprühte alles mit Insektenvernichtungsmittel. Ich mochte den Geruch und liebte es, mit einer Freundin durch die dichte Insektizid-Wolke zu laufen, in der man einander nicht mehr sehen konnte, bis man am anderen Ende wieder herauskam. Wir hatten damals keine Ahnung von der Gefährlichkeit des DDT. Wenn Lucy nicht dabei gewesen wäre, hätte ich mich darauf gefreut, dem Truck in der Wolke hinterherzufahren, doch ich wusste, dass es Lucy nicht gefallen würde.
    “Hey, Lucy!”, rief ich über die Schulter. “Der Moskito-Truck kommt. Lass uns so tun, als ob wir im Himmel mitten in einer Wolke sind.”
    Ich hatte den Satz kaum beendet, als der Truck an uns vorbeifuhr. Der Fahrer hatte uns entweder nicht gesehen, oder es war ihm egal, jedenfalls wurden wir im Nu von dem chemischen Nebel eingehüllt.
    “Hilfe!”, schrie Lucy. “Hilfe!”
    “Ist schon in Ordnung”, rief ich zurück. Ich wollte nicht anhalten. Es war einfach zu aufregend. Die Straße vor mir war verschwunden. Es war, als ob ich mit geschlossenen Augen fuhr, was ich manchmal tat, wenn ich mich absolut sicher fühlte.
    “Julie!” Lucys Stimme wurde dünner, und ich nahm an, dass sie angehalten hatte und abgestiegen war.
    Ich wendete und fuhr den Weg zurück, doch auch als die Wolke sich lichtete, konnte ich sie nicht erspähen.
    “Lucy?”
    “Ich bin hier drüben”, wimmerte sie. “Ich bin über den Lenker geflogen.”
    Da sah ich sie halb sitzend, halb liegend am Waldrand. Ich sprang vom Fahrrad, warf es zu Boden und rannte zu ihr.
    “Lucy!” Ich kniete mich neben sie. “Bist du verletzt?”
    Mit zusammengekniffenen Augen wedelte sie den restlichen Nebel mit den Händen fort, und ich blickte voller Angst auf ihre Arme und Beine, ob vielleicht Knochen durch die Haut stachen. Doch abgesehen von einem hässlichen Kratzer an ihrem Arm sah sie wohlauf aus.
    “Mach die Augen auf”, bat ich. “Komm schon. Der Nebel ist fast weg.”
    Sie öffnete die Augen, doch sie weinte und rang laut schluchzend nach Luft. Ich nahm an, dass sie die ganze Zeit den Atem angehalten hatte, um das Insektizid nicht zu schmecken. Nun sog sie gierig die frische Luft ein. Als sie ihren verletzten Arm erblickte, kreischte sie wieder auf. Die Wunde sah tatsächlich hässlich aus, ein breiter Streifen aufgeschrammter Haut, aus dem hier und da Blut hervorquoll.
    “Es ist nicht so schlimm”, tröstete ich sie, doch sie hielt ihren Arm an sich gedrückt, als sei er zerbrechlich, und jaulte vor sich hin.
    Ich wusste, dass ich sie nicht dazu überreden könnte, wieder aufs Fahrrad zu steigen. Der Nebel verzog sich immer mehr, und ich versuchte, einen Orientierungspunkt zu finden, der mir sagte, wie weit es noch bis nach Hause war. Auf beiden Seiten der Straße stand Wald, doch in der Ferne vor uns sah ich den Weg zum

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