Der Tod meiner Schwester
ich Italienerin bin.”
Er schaute mich fassungslos an. “Das ist sehr kleingeistig”, bemerkte er, wofür ich ihn noch mehr liebte, als ich es schon tat.
“Er und seine Familie waren uns nie freundlich gesinnt”, fuhr ich fort. “Deshalb würde ich lieber nicht –”
“Natürlich”, stimmte Charles zu. Er blickte über die Schulter zum Haus der Chapmans. “War Ross beim Militär?”
“Er wurde zurückgestellt. Ein unbedeutendes Herzproblem.”
“Ach”, reagierte Charles, und ich wusste, dass ich soeben eine unüberwindbare Mauer zwischen meinem Freund, Träger des Purple Heart, und Ross Chapman errichtet hatte. Ein Mann, der seinem Land nicht gedient hatte, obwohl er gesund und munter wirkte, war in Charles’ Augen ein Feigling.
“Wenn er mit dem Rauchen aufhören würde”, meinte Charles, “würde sich sein Herzproblem vermutlich erledigen.”
Ich glaube, Charles war ein bisschen enttäuscht, dass meine Eltern keine regelmäßigen Kirchgänger waren, doch er verlor darüber kein Wort. Wir besuchten jeden Sonntag den Gottesdienst in St. Peter’s, und danach hielten wir immer bei Mueller’s Bäckerei und nahmen Brötchen und Streuselkuchen mit für ein spätes Frühstück mit meinen Eltern. Ich ging gern mit ihm zur Kirche und fühlte mich immer berührt davon, wie ein so starker und intelligenter Mann dort Frieden und Trost fand. Bevor er abends zu Bett ging, betete er außerdem den Rosenkranz. Ich betete ebenfalls, wenn auch nicht den Rosenkranz. Ich betete, dass meine schäbige Eifersucht auf Joan Rockefeller verschwand. Ich betete darum, ohne Sehnsucht auf das Grundstück mit den Blaubeerbüschen sehen zu können. Ich betete darum, vergessen zu können, wie Ross mich berührt hatte – oder besser: mich genommen hatte, denn er konnte auf eine gewisse Art grob sein, die ich genoss. Er hatte mir niemals wehgetan, doch er konnte mir beim Sex das Gefühl geben, ich sei ein bockendes Wildpferd. Ein Herzproblem, wie lächerlich.
Charles glaubte daran, dass Gebete beantwortet wurden. Daraus konnte ich nur schließen, dass ich nicht intensiv genug betete.
Charles und ich heirateten im Juni des folgenden Jahres. Ich täuschte Schmerz vor, als wir uns das erste Mal liebten, und zu meiner großen Erleichterung nahm er mir ab, dass ich noch Jungfrau gewesen war. Wir verbrachten die Flitterwochen an den Niagarafällen und fuhren danach zu meinen Eltern in den Bungalow, wo wir diesmal gemeinsam in dem kleinen Raum wohnten, der immer mein Zimmer gewesen war. Wir packten unsere Koffer aus und traten auf die Veranda, wo ich abrupt stehen blieb, als ich ein Geräusch von nebenan hörte: das Geschrei eines Säuglings.
“Wessen Baby ist das?”, fragte ich.
Meine Mutter saß am Tisch. “Das von Ross und Joan”, antwortete sie. “Sue Clements erzählte mir, dass sie im September geheiratet haben und das Baby erst vor wenigen Wochen zur Welt kam. Ross’ Eltern sind auf ihren Alterssitz nach Florida gezogen, sodass jetzt nur noch die drei im Haus sind.”
Im Kopf rechnete ich nach und verspürte Enttäuschung darüber, dass er sie nicht einfach nur geheiratet hatte, weil sie schwanger war. Er musste sie aus Liebe geheiratet haben, die Art von Liebe, die er und ich wegen all der Widerstände nie kennenlernen durften. Würde ich je darüber hinwegkommen?
Noch am selben Abend bekamen wir das Baby zu Gesicht. Joan brachte den Kleinen herüber zu uns in den Garten und präsentierte ihn stolz. Obwohl ich sie nicht darum gebeten hatte, legte sie ihn mir vorsichtig in die Arme, und ich verspürte spontan ein Ziehen in meinen Brustwarzen, als ich die köstliche Wärme des Säuglings fühlte.
“Er heißt Ned Rosswell Chapman”, erklärte sie stolz.
Charles beugte sich vor und zog sanft die Decke von der Babywange fort. Ned Rosswell Chapman nuckelte schlafend an seinen Fingern.
“Er ist hinreißend”, sagte ich aufrichtig. Ich brauchte keine Augen in meinem Hinterkopf, um zu wissen, dass sich Ross von hinten näherte. Es war eine Art sechster Sinn, und insofern war ich nicht überrascht, als er plötzlich neben Joan auftauchte und ihr einen Arm um die Taille legte.
“Was haltet ihr von ihm?”, fragte er und nickte in Richtung seines Sohnes.
“Er ist ein Schatz”, erwiderte ich. Ich bemerkte, dass er mich fixierte und in seinem Blick das pure Verlangen lag. Nach mir? Nach Joan? Ich wusste es nicht und wandte schnell den Blick ab, um wieder das Kind anzusehen.
Wir unterhielten uns eine Weile über
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