Der Tod meiner Schwester
mit dem Knie gegen die Kommode gestoßen wäre.
“Daddy?” Shannon sah auf, und in ihren Augen lag plötzlich ein kindlicher Hoffnungsschimmer. Sie wollte in Richtung Flur laufen, doch ich hielt sie am Arm fest.
“Daddy ist nicht hier”, entgegnete ich voller Verblüffung darüber, dass sie das überhaupt für möglich hielt.
“Wer ist dann in deinem Schlafzimmer?”
Ich war kurz davor, zu lügen und so zu tun, als hätte sie sich das Geräusch eingebildet, doch ich wusste, dass das nicht funktionieren würde.
“Mutter”, drängte sie. “Wer ist in deinem Schlafzimmer?”
“Ich habe Gesellschaft”, sagte ich betreten. “Ethan Chapman.”
Ich dachte, sie würde mich gleich ohrfeigen. Ihr Blick war mörderisch.
“Wie konntest du das tun?”, empörte sie sich. “Ich ziehe aus, und du fängst an herumzuvögeln? So lange seid Dad und du noch gar nicht auseinander. Du gibst einer Versöhnung nicht mal eine Chance!”
“Es gibt auch keine Chance auf eine Versöhnung, Shannon”, stellte ich klar. Ich fühlte mich furchtbar, weil sie diese Vorstellung in den letzten zwei Jahren genährt und ich nichts davon gewusst hatte. “Ethan ist ein alter Freund, jemand, dem ich mich sehr nah fühle –”
“Halt die Klappe!” Sie hielt sich die Ohren zu. “Halt einfach nur die Klappe.”
Sie riss sich von mir los und rannte den Flur entlang. Ich lehnte mich mit geschlossenen Augen gegen die Wand und lauschte, wie sie die Treppe hinunter und aus dem Haus stürmte, und als sie die Haustür hinter sich zuwarf, zuckte ich nur ein wenig zusammen.
32. KAPITEL
L ucy
Ich übte im Turmzimmer meines Apartments gerade ein Stück, das die ZydaChicks in der nächsten Saison aufführen wollten, als ich das Gepolter im Treppenhaus hörte. Außer meinem Geigenspiel war es in dem Haus, in dem ich wohnte, sehr ruhig. Meine Nachbarn waren keine Leute, deren Freunde die Treppe rauftrampelten. Also hörte ich auf zu spielen und lauschte, denn ich wusste, wenn das Trampeln den dritten Stock erreichte, musste es jemand für mich sein. Und tatsächlich erreichten die Schritte mein Stockwerk, sodass ich die Tür öffnete, bevor der Besucher überhaupt nur klopfen konnte.
Shannon stürmte mit rotem Gesicht herein, und lang zurückgedrängte Tränen brachen aus ihr heraus, als sie sich auf meine Couch warf. Ihr Auftritt erschreckte mich. Ich dachte, dass mit dem Baby etwas nicht in Ordnung sei oder Tanner Schluss mit ihr gemacht hätte oder Julie bei einem Unfall verletzt worden wäre. Ich wusste, dass solche Katastrophenszenarien eher Julies Ding als meines ist, doch ich konnte nicht anders. Irgendetwas Traumatisches war geschehen, und Shannon schluchzte so heftig, dass sie kein Wort herausbrachte.
“Erzähl es mir”, bat ich inständig, setzte mich neben sie und nahm ihre Hand. “Was ist passiert?”
Sie schüttelte den Kopf und hyperventilierte fast, während ihr die Tränen über die Wangen rannen. Ich glaubte, auch gleich weinen zu müssen. Was meine Nichte so sehr verletzt hatte, würde auch mich verletzen.
Schließlich kam sie lange genug zu Atem, um sprechen zu können.
“Ich ging nach Hause”, sagte sie, “zu Mom … um mit dem Packen anzufangen … und ich hörte das Geräusch in ihrem Schlafzimmer und dachte, dass vielleicht Dad herübergekommen war und sie beide …” Sie schloss die Augen. “Du weißt schon, dass sie Sex hatten. Doch es war nicht Dad.” Sie sah mich an. “Es war dieser Ethan Chapman.”
Erleichterung überkam mich, und zugleich verspürte ich eine Freude, die ich mir nicht anmerken ließ.
Los, Julie!
, dachte ich.
Weiter so, Mädchen!
“Und das hat dich so aufgebracht?”
“Ich bin wütend.” Sie entzog mir ihre Hand und schlug auf ein Sofakissen ein. “Ich bin so sauer auf sie. Sie war Dad eine miese Ehefrau, und dann macht sie dieses Essen für jemand anderen und hat dann auch noch Sex mit ihm. Sie hat Daddy niemals richtig wertgeschätzt, und es kotzt mich an, dass sie nun einen anderen Mann behandelt, als sei er ein Gott oder so etwas. Ethan Chapman. Ethan Chapman. Seit sie diesen Brief gesehen hat, gibt es kein anderes Thema mehr für sie.”
Ich hatte Mitgefühl mit Shannon. Ich wusste, dass die Scheidung hart für sie gewesen war – härter, als wir alle das eingeschätzt hatten, erkannte ich nun. Sie liebte beide Elternteile – ihre hart arbeitende, häufig zu skeptische Mutter und ihren zurückhaltenden, sanften Vater. Und so sehr das Ende der Ehe auch Julie
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