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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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vorbeigefahrenen Motorboots leicht hin und her, und das Auf und Ab der Sitze machte mich schwindlig. Doch ich tat es. Ich setzte mich auf die Spundwand, stützte einen nackten Fuß auf das Seitendeck und ließ mich hinunter. Mein Herz schlug bis zum Hals, als ob ich an der Kante des Grand Canyons stünde. Ich ließ mich rasch in den Beifahrersitz gleiten und umklammerte die Seitenwand des Boots.
    Ethan sprang elegant ins Boot und setzte sich hinter das Steuerrad. Der Geruch von Öl und Benzin mischte sich mit dem des Wassers. Diesen Geruch hatte ich einst geliebt. Ich sog ihn tief ein und fragte mich, ob ich das wieder lernen könnte.
    “Alles in Ordnung?” Ethan lächelte.
    Ich nickte.
    Im Rückwartsgang fuhr er in den Kanal und steuerte das Boot dann in Richtung Fluss. Ich war still und fühlte mich beklommen. Mit einer Hand klammerte ich mich noch immer am Bootsrand fest, als wir uns der – für mich sowieso – neuen Lovelandtown Bridge näherten. Diese Brücke war höher als die alte, und die Pfeiler lagen weiter auseinander, sodass wir ohne Mühe zwischen ihnen hindurchfuhren. Wir kamen an Häusern vorbei, die ich nicht kannte, weil sie seit meiner letzten Fahrt auf dem Kanal neu gebaut oder renoviert worden waren. Dann verließen wir den Kanal und erreichten das offene Wasser des Manasquan River. Der warme, feuchte Fahrtwind zerzauste mein Haar, und ein paar Wasserspritzer kühlten meine Augen. Empfindungen, die mich nicht an die Nacht erinnerten, in der ich meine Schwester verlor, sondern an die vielen, vielen Stunden, in denen ich voller Freude in meinem kleinen Boot herumfuhr.
    Ich musterte Ethans Gesicht, während wir durch das Wasser schnitten. In seinem Profil erkannte ich noch immer den Jungen, der Krabben seziert und die Innereien von Aalen in Alkohol eingelegt hatte. Den Jungen, der bäuchlings im Schilf lag, um das Meeresgetier im seichten Wasser zu untersuchen. Wer hätte ahnen können, dass ich hier bei ihm sein würde, Spaß mit ihm hatte, ihn begehrte, ihn
liebte
?
    Ich schluckte und hoffte plötzlich, dass Ned sich als
nicht
verantwortlich für Isabels Tod herausstellen sollte. Es würde Ethan viel zu sehr verletzen.
    Er blickte zu mir herüber und lächelte.
    “Du liebst das hier, nicht wahr.” Es war keine Frage.
    Ich rutschte näher zu ihm und legte einen Arm um seinen Sitz.
    “Ich liebe
dich”
, sagte ich ihm ins Ohr und legte den Kopf an seine Schulter.

34. KAPITEL
    J ulie
    Zwei Tage später hatten sich meine Mutter, meine Schwester, Ethan und ich in meinem Haus zu einem Barbecue versammelt, dessen Hauptzweck darin bestand, Tanner Stroh kennenzulernen. Ich hatte alle gebeten, um sechs zu kommen. Nun war es halb sieben, und Shannon und der Ehrengast waren noch nicht eingetroffen. Die Minuten vergingen, und ich fühlte mich verletzt. Wenn mich jemand so missachtete, konnte ich sehr ungnädig werden.
    Ich brachte die Schüssel mit dem Kartoffelsalat aus der Küche auf die Veranda. Meine Mutter saß am Kopfende des langen Tisches, schnitt ein paar der schönen Jersey-Tomaten aus ihrem Garten zurecht und arrangierte sie auf einer Platte mit Spinatblättern und Essiggurken. Im Innenhof stand Ethan in einer blau-weiß gestreiften Schürze, die er selbst mitgebracht hatte, am Grill und wendete das Fleisch. Lucy stand mit einem Glas Bier neben ihm, sie unterhielten sich. Ich wusste, dass sie ihn mochte – sie hatte mir ein kaum verstecktes Daumen-hoch-Zeichen gegeben, als sie ihn sah –, und das machte mich froh.
    Auch meine Mutter hatte Ethan freundlich begrüßt, obwohl ich ja wusste, dass sie keine Beziehung zwischen uns guthieß. Sie schien heute Abend so munter wie eh und je zu sein, was mich sehr erleichterte, nachdem sie an jenem Tag so merkwürdig nüchtern auf die Neuigkeiten in Neds Brief reagiert hatte.
    “Meinst du, es ist zu warm, um draußen zu essen?”, fragte ich sie jetzt. Vorher war es mir kühler vorgekommen, doch vermutlich hatte ich gerade eine Hitzewallung.
    “Es ist wunderbar.” Sie legte die letzte Tomatenscheibe auf die Platte und das Messer aufs Schneidebrett. “Was hattest du Shannon gesagt, wann sie kommen sollen?”
    “Um sechs”, erwiderte ich und griff nach dem Schneidebrett mit dem Messer.
    “Dieser junge Mann hinterlässt einen schlechten Eindruck, wenn er hier zu spät ankommt.” Sie nahm einen Schluck von dem Glas Bier, das vor ihr stand. Sie sagte immer, dass sie einmal im Jahr gern ein kaltes Bier trinken würde, und offensichtlich war es heute

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