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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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Dissertation angefangen?”, fragte Lucy.
    Er nickte. “Es geht um die Begegnung zwischen Kindern von Holocaust-Überlebenden mit Kindern von Nazi-Tätern. Ich bin halb Deutscher und halb Jude, sodass ich eine natürliche Affinität zu dem Thema habe.”
    “Wow”, sagte Lucy mit aufrichtigem Interesse. “Wie spannend.” Sie verwickelte ihn in eine dieser intellektuellen Akademiker-Diskussionen, die sie so liebte, und ihre Begeisterung war ebenso groß wie die von Tanner. Auch Ethan leistete einen Beitrag – er hatte vor Kurzem auf dem History Channel eine Sendung über die Kinder von Nazis gesehen –, und meine Mutter kannte einen Holocaust-Überlebenden, der Stammgast in ihrem McDonald’s war. Shannon meldete sich ab und an auch zu Wort, als wollte sie zeigen, dass auch sie etwas über das Thema wusste und dass es in ihrer Beziehung nicht nur um Sex ging. Warum nur konnte er nicht zehn Jahre jünger sein oder Shannon zehn Jahre älter? Ich hätte ein deutlich besseres Gefühl mit der ganzen Situation gehabt.
    Ich schien die einzige Person am Tisch zu sein, der nichts zu Tanners Dissertation einfiel. Meine Gedanken waren woanders, und als eine ausreichende Gesprächspause entstand, ergriff ich das Wort.
    “Tanner”, sprach ich ihn an. “Ich glaube wirklich, dass Shannon zumindest so lange hierbleiben sollte, bis das Baby auf der Welt und sie wieder auf den Beinen ist und sich eine gewisse Routine –”
    “Mutter
.” Shannon warf mir einen mörderischen Blick zu. “Wir haben das bereits besprochen.”
    “Ich habe eine Ärztin für sie besorgt, Mrs. Seller.” Tanner wischte sich den Mund mit der Serviette ab. “Ich habe etwas Geld beiseitegelegt, von dem wir leben können, bis ich fertig bin und unterrichten werde. Wir kommen schon klar. Ich weiß, wie beunruhigend das für Sie ist, und auch ich war zuerst ein bisschen beunruhigt. Als ich Shannon kennenlernte, hielt ich sie für viel älter. Sie sieht älter aus, und sie verhält sich auch reifer. Sie ist so intelligent und …” Er sah meine Tochter an und lächelte. “Sie ist wunderbar.”
    Shannon erwiderte sein Lächeln fast schüchtern. Er war verrückt nach ihr, dessen war ich mir sicher, doch ich glaubte nicht, dass er auch nur eine Ahnung davon hatte, worauf er sich da einließ.
    “Mom sagte, dass deine Tochter ebenfalls in meinem Alter schwanger wurde”, wandte sich Shannon an Ethan.
    Ich zuckte zusammen, doch Ethan wirkte ungerührt.
    “Ja”, bestätigte er. “Sie war sechzehn, und ihr Baby wurde von einem wunderbaren Paar adoptiert, das keine Kinder bekommen konnte.”
    “Ich glaube nicht, dass ich das könnte”, überlegte Shannon.
    “Nun, sie befand sich in einer anderen Situation.” Ethan nahm einen Schluck von seinem Bier. “Sie hatte keine echte Beziehung zu dem Jungen. Sie war ein paarmal mit ihm aus gewesen, und bei einer dieser Gelegenheiten zwang er sich ihr auf.”
    “Date Rape – eine Vergewaltigung?”, fragte meine Mutter, und ich war überrascht, dass sie den Begriff überhaupt kannte.
    “Genau”, bekräftigte Ethan. “Abby hatte zuerst Angst, uns davon zu erzählen, doch sie hat es getan, und wir halfen ihr, Anklage gegen den Jungen zu erheben. Er bekam eine Gefängnisstrafe und musste gemeinnützige Arbeit ableisten.”
    “Zumindest das Problem haben wir nicht.” Shannon zielte damit auf mich.
Siehst du
, wollte sie zum Ausdruck bringen,
es könnte noch viel schlimmer sein
.
    Mir gefiel das Ganze. Natürlich nicht das Gesprächsthema, doch der Umstand, dass wir hier alle als Erwachsene beisammensaßen und uns unterhielten. Mir gefiel, dass Shannon sich die meiste Zeit mir gegenüber nicht feindselig verhielt. Ich wusste jetzt, dass ich das Lucy verdankte und dass die beiden miteinander gesprochen hatten. Ich wusste nicht, was Lucy ihr erzählt hatte, doch ich war ihr in jedem Fall dankbar. Ich versuchte, Shannon in neuem Licht zu sehen, als eine Erwachsene, doch wie sehr ich mich auch bemühte, auf mich wirkte sie immer noch wie ein schwangeres Kind.
    Auch während des Desserts entspann sich ein anregendes Gespräch, und erst als wir fertig waren mit Essen und mir alle beim Abräumen geholfen hatten, fiel mir auf, dass meine Mutter sehr still geworden war. Seit wir Eiscreme und Kuchen serviert hatten, hatte sie kein Wort mehr gesagt.
    Ich musterte sie, wie sie in der Küche stand und die Reste in Plastikschälchen umfüllte. “Geht es dir gut, Mom?”
    Sie nickte. “Das Bier macht mich nur müde”,

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