Der Tod meiner Schwester
er.
“Danke.”
“Ich wette, du weißt nichts davon, doch an dich kann ich mich von euch Geschwistern am besten erinnern.”
“Tatsächlich?” Ich war überrascht. “Wie das?”
“Weil du –”, er zeigte mit einem langen, leicht verkrümmten Finger auf mich, “– am meisten Mumm von euch dreien hattest”, antwortete er.
“Finden Sie?” Ich fand, dass Isabel den meisten Mumm von uns dreien hatte, doch ich war nicht bereit, über meine ältere Schwester zu reden.
“Oh ja”, sagte er. “Und du warst auch die Klügste. Du hattest immer ein Buch dabei und hast dich vor nichts und niemandem gefürchtet. Du bist dort hinübergefahren” – er wedelte mit der Hand in Richtung Kanal – “zu den Schwarzen und hast dich mit ihnen angefreundet. Wer sonst hätte so etwas getan? Niemand, der auf dieser Seite des Kanals wohnte, so viel ist sicher.”
“Ich habe deshalb eine Menge Ärger bekommen”, ließ ich ihn wissen. Die Jungen nebenan ritten auf einem großen, aufblasbaren Alligator und kreischten vor Freude, als durch die von ihnen verursachte Welle das Wasser aus dem Becken spritzte.
“Du hast immer versucht, die Dinge selbst zu ergründen, das mochte ich an dir”, vertraute Mr. Chapman mir an. “Ich weiß, dass das in deiner Familie schwer war, aber du warst einfach nicht der Typ Mädchen, das die Werte der Eltern einfach akzeptiert, ohne sie zu hinterfragen.”
Ich hatte keine Ahnung, dass er mich als Kind so aufmerksam beobachtet hatte, und obwohl ich mich über das Kompliment freute, wusste ich, dass mein “Mumm” sich eher als Bürde denn als Gewinn erwiesen hatte.
“Meine Eltern waren sehr konservativ”, sagte ich. Ich beugte mich hinunter, um meine Sandalen auszuziehen, und grub die Zehen in den warmen Sand.
“Vor allem dein Vater”, pflichtete Mr. Chapman mir bei. “Und du warst bereit, dich ihm zu widersetzen, nicht wahr? In der Beziehung warst du deiner Mutter sehr ähnlich.”
Soweit ich wusste, hatte sich meine Mutter nie meinem Vater widersetzt, doch das wollte ich jetzt nicht anführen. Dieses Gespräch war oberflächlich, und es bestand kein Anlass, mit ihm das Kräfteverhältnis in unserer Familie zu erörtern.
“Ich vergesse immer, dass Sie und Mom als Kinder befreundet waren.” Die Sonne brannte auf meinen Armen. Ich hatte mich morgens eingecremt, doch ich würde mir noch Sonnencreme von Ethan leihen müssen, wenn ich hier draußen länger saß.
“Ja, wir waren gute Kumpel, so wie du und Ethan es einst waren. Es ist schön, dass ihr wieder Freunde seid.” Mr. Chapman sah auf den Kanal. Seit ich mich gesetzt hatte, war nicht ein Boot vorbeigefahren. “Ich würde gern wieder ein freundschaftliches Verhältnis zu deiner Mutter haben”, vertraute er mir an. “Doch sie möchte nicht einmal mit mir sprechen.”
Ich zögerte, weil ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. “Wissen Sie, Mr. Chapman”, begann ich, “es ist einfach so, dass jeder aus diesen alten Tagen sie an eine Zeit erinnert, die für unsere Familie sehr schmerzhaft war.” Nun also doch. Wir waren mitten im Thema, und ich hatte es aufgebracht.
“Ja”, erwiderte er. “Das begreife ich. Hat die Polizei schon mit ihr gesprochen?”
Ich schüttelte den Kopf. “Ich glaube nicht.”
“Es muss sehr schwer für deine Familie sein, dass dies alles wieder aufgerollt wird”, sagte er.
“Für Ihre ebenfalls”, erwiderte ich.
Ein Fischerboot mit einigen Männern und ihrer Ausrüstung glitt auf dem Wasser vor uns Richtung Norden und steuerte vermutlich zur Bucht. Wir betrachteten es schweigend.
“Glaubst du, dass Ned deine Schwester getötet hat?” Mr. Chapmans Direktheit verblüffte mich.
Ich sah wieder zu unserem früheren Garten. Die Jungen waren jetzt ruhiger, ihre Köpfe verschwanden unter der Beckenkante, sodass ich sie nicht sehen konnte, und schossen dann wieder nach oben. Vermutlich spielten sie “Wer den Atem am längsten anhalten kann”. Ich hasste das Spiel. Ich hatte Shannon verboten, es jemals zu spielen. Ein Verbot, über das sie sich garantiert viele Male hinweggesetzt hatte, wenn ich nicht dabei war. Welches Kind hätte das nicht getan?
“Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Mr. Chapman”, antwortete ich. “Ich weiß nicht, wen er sonst in seinem Brief an die Polizei gemeint haben sollte.”
Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen, rissigen Lippen. Sein Gesicht wirkte ausgemergelt, und ich fragte mich, ob er krank war, auch wenn Ethan das bestritten
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