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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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wollten. Und wir liebten uns, wenn auch nicht so oft, wie ich es mir wünschte. Ich wusste, dass er müde war, doch ich fragte mich oft, ob ich einfach einen stärkeren Sexualtrieb hatte als andere Frauen. Meine Freundinnen und ich sprachen niemals über so etwas, insofern wusste ich nicht, ob ich normal war.
    Meine Eltern hatten ein blühendes soziales Leben entwickelt, seit mehr Menschen nach Bay Head Shores gezogen waren, die kein Problem mit der Herkunft meiner Mutter hatten. Meine alten Freundinnen gingen ihrem Beruf nach oder waren mit ihren Babys beschäftigt. Viele ihrer Männer waren eingezogen worden, einige kämpften in Europa. Ich wusste um mein Glück, dass sich mein Mann auf sicherem amerikanischem Boden befand. Doch ohne Charles oder meine Freundinnen um mich herum fühlte ich mich einsam, und Einsamkeit kann gefährlich sein. Im Herbst begann mein zweites Jahr als Lehrerin, doch jener Sommer bestand nur aus einem faulen Tag nach dem anderen. Ich las ziemlich viel, dachte an Charles und hatte einfach Langeweile.
    An einem Abend in der Woche, an dem meine Eltern aus waren, saß ich auf der Veranda und las
A Bell for Adano
, als ich bemerkte, dass Ross allein auf der Spundwand in seinem Garten saß. Es wurde rasch dämmerig, und ich bemerkte das glühende Ende seiner Zigarette. Ab und an klopfte er die Asche in den Kanal, und ich war fasziniert von dem roten Glühen, das durch die Dunkelheit wanderte.
    In Gedanken versunken und das Buch längst vergessen, sah ich ihm beim Rauchen zu. Ich stellte mir vor, wie sein Mund schmecken würde – nach Holz und Leder –, und stand dann wie ferngesteuert auf und ging hinaus. Ich ließ die Verandatür hinter mir zuknallen, damit er nicht überrascht war, wenn ich in unserem Garten auftauchte.
    Ich ging zum Kanal und setzte mich ebenfalls auf die Spundwand, zog die Beine an und schlang die Arme um meine Knie. Das Wasser war glatt wie Seide, und der fast volle Mond spiegelte sich als schimmernde weiße Scheibe auf der Oberfläche. Ich saß gut einen Meter entfernt von Ross, und obwohl er die Zigarette ausgemacht hatte, hing ihr Duft noch in der Luft.
    “Eine schöne Nacht”, schwärmte ich und wandte mich ihm zu. Ich konnte ihn deutlicher sehen als erwartet, weil der Mond so hell schien. Er schaute mich an und rieb sich gedankenverloren über die Kinnlade.
    “Das ist es”, stimmte er zu.
    “Wie kommt es, dass du während der Woche hier bist?”
    “Ich habe mir den Sommer vom Studium freigenommen, um bei Joan und dem Baby zu sein.”
    Ich drehte mich um und blickte zu ihrem dunklen Bungalow. “Wo sind sie heute Abend?”
    “Joan besucht ein paar Freundinnen in Brielle”, erwiderte er. “Sie hat Ned mitgenommen.”
    “Aha”, sagte ich nur. Er war also auch allein.
    “Ich schätze, es ist schwer für dich, dass Charles in der Woche nicht hier ist”, vermutete Ross.
    “Ja”, bestätigte ich. “Aber es könnte schlimmer sein. Er könnte in Übersee sein.” Ich dachte daran, dass ich mich ohne Charles im Bungalow wieder wie das Mädchen fühlte, das ich früher gewesen war. Das abends mit der Clique zu Jenkinson’s ging oder mit einem Date ins Kino.
    Ross stand auf und streckte sich. Einen Moment lang befürchtete ich, er würde ins Haus gehen. Doch er kam zu mir, und mir wurde ganz schwindlig, als er sich neben mich setzte und die Beine über die Holzwand baumeln ließ.
    “Ich bin froh, dass du jemanden wie Charles gefunden hast, Maria”, sagte er. “Seine politischen Ansichten sind verdreht, doch er kann dir etwas bieten. Einen besseren sozialen Status, meine ich. Du bist die Frau eines Arztes.”
    “Das ist nicht der Grund, weshalb ich ihn geheiratet habe”, stellte ich klar.
    “Nein, natürlich nicht”, räumte Ross ein. “Aber das ist eine gute Zugabe.”
    “Diese Art ‘Zugabe’ ist mir völlig egal”, erwiderte ich trotzig.
    Er lächelte. “Du bist immer noch ein Sturkopf, nicht wahr?” Er fasste mich am Kinn und drehte meinen Kopf zu sich. “Ich habe dich vermisst. Nicht nur … du weißt schon, den körperlichen Aspekt unserer Beziehung.
Dich
habe ich vermisst. Alles an dir. Die Freundschaft, die uns verband.”
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Hatte ich ihn vermisst? Ja, das hatte ich, doch ich hatte genau diesen “körperlichen Aspekt” unserer Beziehung vermisst. Charles erfüllte meine Bedürfnisse nach ernsthaften Gesprächen und nach Partnerschaft, doch seine unregelmäßigen Liebesakte hatten eine

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