Der Tod meiner Schwester
zu ihr?”, fragte er.
Ich wich seinem forschenden Blick aus und schalt mich gleichzeitig dafür. Ich wollte nicht über meine Beziehung zu Isabel sprechen, und mir war klar, dass mein plötzliches Ausweichen mich in den Augen der Polizei verdächtig machte.
Und darum geht es
, begriff ich. Es interessiert sie nicht, ob ich Ned für den Mörder hielt. Sie wollten
meine
Rolle in dem ganzen Fall beleuchten. Plötzlich und unerwartet packte mich Angst.
“Wir standen uns nah, als wir klein waren.” Dabei blickte ich erst dem Lieutenant und dann seiner Kollegin fest in die Augen. “Doch wir waren fünf Jahre auseinander und konnten weniger miteinander anfangen, als sie ins Teenager-Alter kam, was ja auch völlig natürlich ist. Wir hatten nicht mehr viel gemeinsam.”
“Haben Sie sich viel gestritten?”, wolllte Detective Engelmann wissen.
“Gezankt”, antwortete ich mit einem Achselzucken. “Die typischen Eifersüchteleien unter Geschwistern.”
“Und wie steht es mit Ned Chapman?”, fragte sie weiter. “Wie war er?”
Ich spürte, wie die Hitze in mir aufwallte. Verdammt. In zwei Sekunden wäre mein Gesicht so rot wie mein T-Shirt. Doch diesmal wich ich nicht aus. Ich hielt dem grasgrünen Blick der Frau stand. “Er wirkte nett”, antwortete ich. “Ich meine, ich kannte ihn mein ganzes Leben lang, weil er ja im Sommer nebenan wohnte. Er war Rettungsschwimmer am Strand. Doch man weiß nie
hundertprozentig
, wie es in einem Menschen aussieht. Nach außen hin wirkte er nett, doch wer weiß, was in ihm vorging.”
“Sie hatten eine Schwäche für ihn.” Der Lieutenant ließ es eher wie eine Feststellung als eine Frage klingen.
Ich zuckte wieder die Achseln. “Eine typisch vorpubertäre Schwärmerei”, spielte ich die Sache herunter. Ich benutzte das Wort typisch zu oft und fragte mich, ob sie es bemerkten. Ich bekam kaum Luft, als die Hitzewallung sich über Hals und Brust zurückzog. Mit der Hand fächelte ich mir Luft zu und lächelte entschuldigend. “Eine Hitzewallung”, erklärte ich. “Eine echte Plage.”
Beide lächelten verständnisvoll, doch in Anbetracht des Alters von Detective Engelmann und des Geschlechts von Lieutenant Jaffe war ich sicher, dass sie keine Ahnung hatten, wie es mir ging. Ich hätte mir zu gerne den sich rasch füllenden Notizblock gegriffen, um mir mehr Kühlung zuzufächeln.
“Waren Sie eifersüchtig auf Isabel?”, hakte Lieutenant Jaffe nach.
Meine Augen wichen wieder zur Seite aus.
Verdammt
. Was stimmte nicht mit mir? Ich wollte sagen:
Ja, selbstverständlich war ich eifersüchtig auf sie. Waren Sie nicht eifersüchtig auf Ihre älteren Geschwister?
Stattdessen beruhigte ich mich und nickte. “In gewisser Weise ja”, gab ich zu. “Ich wünschte mir, so auszusehen wie sie und so alt zu sein und die gleichen Freiheiten zu genießen wie sie.”
“Wer wusste, dass sie an jenem 5. August 1962 um Mitternacht auf der Plattform sein würde?”, fragte Detective Engelmann.
“Ich”, sagte ich. “Und Bruno – Bruce – Walker. Und möglicherweise George Lewis, auch wenn ich mir dessen nie sicher war. Wenn er es wusste, dann vermutlich auch Wanda Lewis. Und natürlich Ned Chapman.”
“Obwohl Ned Chapman laut altem Protokoll –”, der Lieutenant spielte mit der Akte, die vor ihm lag, obwohl er sie nicht öffnete und durchblätterte, “– Sie gebeten hat, Isabel zu sagen, dass er sie in jener Nacht nicht treffen könne.”
“Ja, doch später sagte er, dass er es vielleicht doch schaffen würde.”
“Damals waren Sie doch bekannt für Ihre erfundenen Geschichten, oder?”, fragte mich Detective Engelmann.
Sie sprangen so rasch von einem Punkt zum anderen, dass mein überhitztes Gehirn kaum folgen konnte, und wieder wusste ich nicht genau, worauf sie hinauswollte.
“Ich habe viel gelesen. Ich habe George und Wanda die Nancy-Drew-Bücher vorgelesen.”
“Aber Sie haben doch auch vieles erfunden, nicht wahr?”, bohrte sie. “So wie die Geschichten über merkwürdige Ereignisse in Ihrer Nachbarschaft, mit der Sie Ihre Spielkameraden unterhielten.”
Ich starrte sie an und wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich spürte, wie so etwas wie Hass in mir aufstieg. Als ich nicht antwortete, ergriff der Lieutenant das Wort.
“Lassen Sie mich kurz zusammenfassen, was Sie uns bislang erzählt haben”, sagte er. “Es gab so etwas wie eine geschwisterliche Rivalität zwischen Ihnen und Ihrer Schwester. Sie waren eifersüchtig auf sie. Sie wussten, wo
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