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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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Glückwünsche von allen Kollegen ab. Ich rief alle Verwandten und Freunde an, um das Ereignis zu verkünden und fiel gegen Mittag zu Hause endlich für eine kurze Zeit in einen geruhsamen Schlaf. Mein letzter für eine ganze Weile.
    Der kleine Tobias stellte sich als ein Bürschchen von enormer Stimmgewalt heraus. Er hielt nicht nur Anja und mich auf Trab, auch die Nachbarn hatten bei den dünnen Wänden etwas davon und warfen uns ein ums andere Mal übermüdete Blicke zu, wenn wir ihnen begegneten. In der Anfangszeit brachten wir selbst aber kaum mehr als ein Gähnen als Antwort auf.
    Anja hatte für den Rest des Schuljahres Elternzeit genommen, und jetzt lebten wir von dem wenigen Gesparten und meinem bescheidenen Praktikumsgehalt. Glücklicherweise waren es nur noch wenige Monate, bis ich meinen Status als ausgebeuteter Arzt im Praktikum endlich hinter mir lassen konnte und zum Assistenzarzt mit dem dreifachen Gehalt wurde.
    Im Grunde war die Assistenzzeit dazu gedacht, sich der Ausbildung zum Facharzt zu widmen. Je nachdem, auf welches Gebiet man sich festlegen wollte, dauerte die Ausbildung zwischen vier und sechs Jahren. Ich hatte all die Jahre gehofft, irgendwann Chirurg zu werden. Selbstverständlich dauerte genau diese Ausbildung am längsten von allen. War ja klar, dass ich, der gerade noch sechs Jahre zu leben hatte, mir ausgerechnet diese Fachrichtung aussuchen musste.

Kapitel 49
    Während der kleine Tobias wuchs und wuchs, tickte meine Uhr immer schneller ihrem unvermeidlichen Ende entgegen. Mehr und mehr Ereignisse oder Dinge erinnerten mich an meine eigene Vergänglichkeit, sei es ein Besuch auf dem Friedhof bei meinem Vater oder ein Gespräch mit Patienten, die dem Tod aus den verschiedensten Gründen ins Auge blickten. Manchmal buchstäblich, obwohl sie es selbst natürlich nicht wussten, wenn Tod direkt vor ihnen stand, um mir bei meiner Arbeit über die Schulter zu schauen.
    Thanatos und ich hatten eine Art Waffenstillstand geschlossen. Ich war ihm sehr dankbar, dass er mich in der Nacht, als mein Vater starb, mitgenommen hatte. Er selbst, schätzte ich, wollte einfach jemanden haben, mit dem er reden konnte. Selbstverständlich tat ich trotzdem alles, um das Leben meiner Patienten zu retten, obwohl meine Einstellung Risse bekam. Das lag nicht an Tod, sondern hauptsächlich an einer Frau mittleren Alters namens Baranski.
    Kurz vor ihrem 50. Geburtstag wurde bei ihr Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert, eine der wenigen Varianten, bei der die Heilungschancen relativ hoch liegen. Leider hatte Frau Baranski nicht so viel Glück. Monate und Jahre hatte sie in Chemo- und Strahlentherapien verbracht, die den Krebs zwar zunächst zurückdrängten, aber nicht besiegen konnten. Man probierte es mit einer Hochdosis-Chemotherapie und einer Knochenmarkstransplantation bei ihr, allerdings half auch das nichts. Ich lernte sie kennen, als der Krebs so weit gestreut hatte, dass auch ihre Brüste befallen waren. Zur Sicherheit sollten diese nun abgenommen werden, und ich war dem Eingriff als Assistenzarzt zugeteilt.
    Ich sah Tod, während ich mich auf die OP vorbereitete. Er war nicht angetan davon, dass wir sie unters Messer nehmen wollten.
    „Ihr verlängert ihr Leiden nur noch“, sagte er.
    „Wir versuchen sie vor dem Tod zu bewahren. Und wir können das. Es ist eine relativ einfache Prozedur.“
    „Hast du sie dir denn einmal genau angesehen? Mit deiner Gabe, meine ich?“
    „Sie stirbt. Im Krankenhaus. Aber das tun viele Leute. Ich habe nichts gesehen, was darauf schließen lässt, dass es bald passiert. Sie könnte durchaus noch ein paar Jahre haben.“
    „Wofür?“, fragte Tod.
    Ich wollte antworten, aber der Chirurg kam herein, um sich ebenfalls vorzubereiten. Er sprach mich an und machte Smalltalk, was eine weitere Konversation mit Tod verhinderte. Als wir den OP betraten, war er bereits weg.
    Die Operation verlief zufriedenstellend, und Frau Baranski war bald wieder frohen Mutes und lachte, wenn ihr Mann und ihre Kinder zu Besuch kamen. Selten erlebte ich eine herzlichere Patientin als sie. Es standen noch ein paar Routinenachuntersuchungen an, bei denen ich half. Während der Auswertung stellten wir fest, dass ihr Krebs erneut gestreut hatte. Diesmal war er bis in die Lunge gelangt.
    Zu diesem Zeitpunkt wanderte sie schon über fünf Jahre durch die Krankenhäuser und versuchte den Krebs zu bekämpfen, der aber vehement allen Behandlungen trotzte. In all der Zeit hatte sie schmerzhafte Therapien

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