Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
mitgemacht und auch Teile ihres Körpers eingebüßt. Als ich ihr mitteilen sollte, dass der Krebs sich erneut ausgebreitet hatte, war ihre Reaktion im Grunde wenig überraschend, für mich aber zunächst unverständlich.
„Ich habe schon geahnt, dass es nicht vorbei ist“, sagte sie ruhig und blickte aus dem Fenster.
„Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir das behandeln können“, erwähnte ich, aber sie schüttelte den Kopf.
„Nein. Danke. Ich glaube, das war es für mich.“
„Sie werden doch nicht aufgeben wollen, oder? Das ist alles therapierbar“, erklärte ich.
Sie schaute mich mit einem fast mitleidigen Blick an. „Ich glaube nicht, dass ich noch einmal eine Chemotherapie oder eine der anderen Maßnahmen überstehen kann. Wenn Sie über Jahre hinweg nur noch Schmerzen hätten und zu fast nichts mehr in der Lage sind, als nur noch im Bett oder im Krankenhaus zu liegen, was denken Sie, würden Sie tun?“
Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihrem Bett und wollte nicht akzeptieren, dass jemand einfach so sein Leben verschenkt. „Ich würde kämpfen.“
„Würden Sie das? Obwohl, Sie sind jung, bei Ihnen ist das vielleicht noch etwas anderes.“
„So alt sind Sie doch auch wieder nicht.“
„Danke für die Schmeichelei. Aber ich schätze, ich bin alt genug. Sicher, mir wäre es auch lieber, wenn ich noch 20 oder 30 Jahre hätte, aber nun ist es halt nicht so.“
„Aber Sie haben Familie. Ihren Mann, Ihre Kinder.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Die Kinder sind schon alt genug oder fast alt genug, um selbst in die Welt hinauszuziehen. Wenn sie nicht mehr im Hause sind, dann habe ich eh nichts mehr zu tun.“
„Deswegen werden Sie ihnen doch trotzdem fehlen“, sagte ich. „Und was wird Ihr Mann ganz alleine machen?“
„Ach, der hat dann genug Zeit für seine Modelleisenbahn.“
Mir blieben fast die Worte weg. „Aber das … das …“
„Klingt so nüchtern?“, fragte sie.
Ich nickte.
„Wissen Sie, diese ganze Krebsgeschichte geht jetzt schon so lange, dass ich einige Zeit damit verbracht habe, über den Tod nachzudenken“, sagte sie völlig ruhig. „Schon vor geraumer Zeit hatte ich mich mit meiner Familie darauf geeinigt, dass wir das Unvermeidliche nicht um jeden Preis hinauszögern wollen. Ich will niemandem zur Last fallen.“
„Aber Ihrer Familie sollte das keine Last sein!“, protestierte ich.
„Ja, und sie versichern mir auch immer wieder, dass sie keine Probleme damit haben, aber glauben Sie wirklich, dass das alles spurlos an ihnen vorübergeht? Manchmal habe ich das Gefühl, dass mein Krebs meinen Mann mehr schmerzt als mich. Ich will ihm das ersparen. Und ehrlich gesagt, mir auch.“
„Haben Sie denn gar keine Angst?“
„Nein. Nicht wirklich. Obwohl, vermutlich ist das eine Lüge. Sicherlich habe ich ein wenig Angst davor, meine Familie nicht mehr zu sehen, aber die Aussicht, keine Schmerzen mehr zu haben, ist weitaus beruhigender für mich.“
Sie sah mir wohl an, dass ich nicht überzeugt war.
„Haben Sie noch Ihre Eltern?“, fragte sie plötzlich.
„Ja, meine Mutter.“
„Und Ihr Vater?“
„Ist vor ein paar Jahren gestorben. Krebs. Bei ihm ging es schnell. Innerhalb eines halben Jahres war es vorbei.“
„Hat er gelitten?“, fragte sie interessiert.
„Nun, die Chemotherapie hat ihm schon zugesetzt, aber eigentlich machte er immer einen ganz guten Eindruck.“
„Nun stellen Sie sich vor, er hätte noch weitergelebt und sein Zustand wäre über Jahre schlechter und schlechter geworden. Hätten Sie sich das für ihn gewünscht?“
Ich dachte nach. Rückblickend empfand ich seinen Tod wirklich als eine Art Erlösung. Er starb, bevor es ihm richtig schlecht gegangen wäre. Ich wusste wirklich nicht, ob er, meine Mutter und ich die ganzen Prozeduren ertragen hätten, die Frau Baranski mitgemacht hatte.
„Da haben Sie Ihre Antwort“, sagte sie unvermittelt, ohne dass ich etwas gesprochen hatte. „Glauben Sie mir, ich hatte ein gutes Leben. Ich glaube, ich kann frohen Mutes gehen.“
In diesem Moment ging die Tür auf, und die Familie von Frau Baranski trat herein. Sie gab mir zu verstehen, dass sie die Situation der Familie beibringen würde. Also stand ich auf, begrüßte alle und wartete noch einen Moment in der Tür, bis sie anfing zu erklären. Dann stahl ich mich davon.
Tod versuchte mich davon abzuhalten, Frau Baranski weiter zu überzeugen, aber ich hörte nicht auf ihn. Nur nützte mir meine Halsstarrigkeit nichts, da
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