Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
auch nicht, in der Schule darauf angesprochen zu werden. Von Anja erwartete ich schon eine Weile nichts mehr und versuchte mir einzureden, dass ich keine Gefühle für sie mehr hegte, damit ich vielleicht mit einer anderen mein Glück finden würde.
Die DLRG kam mir zu manchen Zeiten wie ein Jagdgebiet der Geschlechter vor. Die Mädchenrate war in meinen Anfangsjahren gering, weswegen sich die weiblichen Retter oftmals wie das „Huhn im Korb“ vorkommen mussten. Zumindest war ihnen vonseiten ihrer männlichen Kollegen immer jede Menge Aufmerksamkeit garantiert. Das bedeutete aber auch, dass die wenigen Mädchen, die ich halbwegs interessant fand, ohnehin schon nicht mehr zu haben waren. Nach ein paar Jahren glich sich dann das Geschlechterverhältnis aus. Wenn ich vermuten müsste woran das lag, dann würde ich sagen: Baywatch. Diese Serie mit David Hasselhoff, der mir, seit er begonnen hatte zu singen, tierisch auf den Sack ging, war Fluch und Segen zugleich. Es war ermüdend, dass man immer bei Erwähnung der DLRG-Mitgliedschaft einen wissenden Blick mit dazugehörigem Kopfnicken und den Worten „Ah, Baywatch, was?“ erntete. Aber es war ein Segen, dass einige Mädchen glaubten, der Glamour, der von den großbrüstigen Nebenfiguren wie Pamela Anderson oder Erika Eleniak ausging, würde auf sie übergreifen. Das soll nicht heißen, dass der DLRG deswegen Schönheiten mit Silikonpolstern zuliefen. Der Großteil der weiblichen Neuzugänge setzte sich aus ganz normalen Mitgliedern der Frauenwelt zusammen.
Cornelia hatte im Frühjahr auf unserer Station angefangen. Sie war ein süßes Mädchen, aber sie nahm kein Blatt vor den Mund und ließ sich nicht herumschubsen. Sie war nicht sonderlich groß, und offenbar versuchte sie das zu kompensieren, indem sie wesentlich direkter als andere Mädchen war, die ich kannte. Mir war nicht entgangen, dass sie sich schon zu Beginn unserer Bekanntschaft in mich verknallt hatte. Sie hatte auch definitiv nicht den leisesten Schimmer davon, dass ich der Junge war, der an dem Tod des Schülers vor ein paar Jahren beteiligt gewesen war. Obwohl ich sie auch sehr mochte, war ich zum einen nicht der Typ, der den ersten Schritt machte, und zum anderen hing ich immer noch Anja hinterher. Mir war klar, dass es mit Anja vermutlich nie etwas werden würde, aber ich war mir nicht sicher, ob ich mich überhaupt in eine andere verlieben könnte.
Ich freundete mich mit Conny an, aber ich hielt sie zunächst auf Distanz. Sie sagte zwar nie geradeheraus, was sie von mir wollte, aber so subtil war es offenbar nicht, denn meine Stationskameraden begannen, mich schon bald mit ihr aufzuziehen. Einige wunderten sich, ob ich nicht sogar schwul wäre, weil ich nichts mit ihr anfing. Nun ist eine DLRG-Station nicht unbedingt der beste Ort, um tiefe psychologische Gespräche zu führen. Eher schon unterhielten wir uns darüber, welche Filme gut oder schlecht sind, wobei man auch da gewisse Abstriche machen musste. (Ich weigere mich bis heute, die Ansicht eines Kameraden zu akzeptieren, welcher der Meinung war, dass „Body Of Evidence“ der beste Film aller Zeiten sei, weil Madonna darin nackt auftrat.)
Auf einer Wasserrettungsstation kann man einfach gut dämlich quatschen. Sorgen, Beziehungsprobleme oder anderer ernsthafter Kram sind eher etwas, was man mit einem echten Kumpel unter vier Augen beredet. Ich hielt mich mit meinen Bemerkungen über Conny den anderen gegenüber also zurück. Auch mit meinen Eltern wollte ich nicht über sie reden. Wer redet schon gern mit seinen Eltern über solche Dinge? Im Grunde blieb mir nur einer, mit dem ich sprechen konnte.
Tod hatte sich eine Weile rargemacht, schneite eines Abends aber mit einer Chipstüte im Arm herein.
„Guten Abend“, sagte er mit einem freundlichen Grinsen auf den Lippen.
Ich hatte ihn zunächst nicht bemerkt, weil ich auf meinem Bett lag und Musik hörte, und zuckte zusammen, als ich seine Stimme hörte. „Meine Güte, bitte schleich dich doch nicht wie ein Ninja an.“
Tod schüttelte die Chipstüte. „Ich habe Speisen mitgebracht.“
„Speise ist dafür als Begriff aber arg überstrapaziert.“
„Wie würdest du es denn nennen?“
„Knabberzeug.“
„Knabberzeug“, sagte er mit einem Ton der Enttäuschung.
Wir schauten uns einen Moment an, unsicher, wie sich jeder verhalten sollte.
„Okay“, sagte ich, „danke.“ Ich nahm ihm die Tüte ab und riss sie auf. Als ich sie ihm hinhielt, winkte er ab.
„Ich weiß
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