Der Tod und der Dicke
dreht er sich, immer weiter, immer schneller, bis die hohen Wände und bunten Fenster und die beladenen Tische zu einem arktischen Weiß verschwimmen und Totties Körper, der sich während des Tangos immer enger an ihn geschmiegt hatte, sich allmählich anfühlt wie ein Sack alter Knochen. Jetzt fühlt auch er sich müde, als würden sein Alter und sämtliche Strapazen und Exzesse eines Lebens, das er mit der wilden Jagd nach Gott weiß was verbracht hatte, ihn schließlich einholen. Er will sich ausruhen. Tottie würde doch nichts dagegen haben, diese Runde ausfallen zu lassen? Liebkosend legt er seine Lippen an ihr Ohr und will ihr seinen Vorschlag zuflüstern, aber er kann das Ohr nicht finden. Die Wange, die sich an seine presst, ist nicht mehr weich und warm, sondern kalt und hart und glatt. Er nimmt den Kopf zurück und sieht seiner Partnerin ins Gesicht. Statt in Tottie Trumans schimmernde braune Schlafzimmeraugen starrt er in die dunklen, schattenhaften Augenhöhlen eines Schädels, dessen greinende Zahnreihen und dessen leerer Blick ihm irgendwie bekannt vorkommen.
Dann dämmert es ihm. Dalziel lacht.
»Hector, Bursche«, ruft er. »Ich hab ja immer gesagt, du bringst mich noch mal ins Grab, aber musst du deswegen gleich wie der Tod aussehen?«
Die Knochengestalt antwortet nicht, nur ihr Griff, mit dem sie den ausladenden Leib des Dicken umfasst hält, verstärkt sich, und Dalziels erschöpfte Beine werden zu einem noch wilderen Tanz gezwungen, der, spürt er, erst dann aufhören wird, wenn jene knochigen Gliedmaßen alles aus ihm herausgepresst haben, was seine Lebensenergie ausmacht – Sonne und Wind und Luft und Regen, Schlemmereien und milder Whisky, Licht und Lachen –, und das wenige, was dann noch vorhanden ist, in eine eisige Ewigkeit davonwirbelt.
Einen Augenblick lang ist er verloren. Er, der große Dalziel, der zu seiner Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang durchgetanzt und dann ein ganzes britisches Frühstück mit einem Whisky hinuntergespült hat, verfügt über keine Kraft mehr, dem Tod oder Hector zu widerstehen, die ihn ins Vergessen davontragen wollen.
Dann, just in dem Moment, als er es geschehen lassen will, geschieht etwas.
Neue Entschlossenheit scheint durch seine müden Glieder zu strömen, als hätte er einen Stromschlag abbekommen. Dann noch einen, stärker noch. Einen dritten … einen vierten … einen fünften …
Scheiß drauf!, denkt er sich. Mit dem Kerl werde ich es aufnehmen, bevor ich mich von ihm in Grund und Boden tanzen lasse!
Er drückt den Tod oder Hector noch fester an sich, wirbelt auf Zehenspitzen durch den Raum, jetzt wieder der Führende, nicht der Geführte, schneller und schneller, bis die wilde Musik in seinem Windschatten davonweht. Die Umgebung verschwimmt nicht mehr, sondern scheint durch den Tanz erneut in den Fokus zu rücken. Erst die hohen Fenster mit ihren bunten Lichtern, dann die Tische mit ihren weißen Tischtüchern und den aufgetürmten Viktualien, schließlich bemerkt er, dass die spröden Knochen in seinen Armen wieder mit dem warmen und nachgiebigen Leib von Tottie Truman aus Doncaster bekleidet sind.
8
Schuld
»Sein Zustand ist jetzt stabil, aber es war knapp«, sagte Dr. John Sowden. »Bei jedem anderen hätte ich nach dem fünften Elektroschock abgebrochen. Aber ich hab mir den fetten Schweinepriester angesehen und gedacht, das Risiko gehst du nicht ein, dass er dich in deinen Träumen verfolgt! Also hab ich ihm noch einen verpasst.«
Dr. Sowden war ein alter Bekannter der Pascoes, eine Beziehung, die lange zurückreichte und ihren Ausgang in einer unheimlichen Begegnung mit Andy Dalziel aufgrund des Verdachts hatte, der Mediziner habe durch Trunkenheit am Steuer einen Unfall mit Todesfolge verursacht.
»Und es hat funktioniert?«, fragte Ellie Pascoe.
»Sein Herz hat wieder angefangen zu schlagen. Das ist schon mal was, aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Er ist jetzt wieder da, wo er vorher auch war. Noch immer keinerlei Anzeichen, das Bewusstsein wiederzuerlangen. Und wir haben nicht die geringste Ahnung, in welchem Zustand er aufwacht. Sie dagegen, Peter, sehen bemerkenswert munter aus.«
»Wann kann ich also nach Hause?«, fragte Pascoe. »Es geht mir gut.«
Was nahezu stimmte. Die durch die Neuigkeiten über den dicken Andy ausgelöste Besorgnis, die Erleichterung, nachdem er erfahren hatte, sie hätten ihn wieder zurückgeholt, und das Vergnügen, Ellie am Bett sitzen zu haben, schienen alles
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