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Der Tod und der Dicke

Der Tod und der Dicke

Titel: Der Tod und der Dicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Besorgnis. »Aber ihm geht es leider ziemlich schlecht. Hören Sie, Hector, Sie sollten sich nicht die Schuld dafür geben …«
    »Die Schuld? Wem, Sir?«, fragte Hector und verdrehte vor Konzentration die Augen.
    Na, dachte sich Pascoe. Da irrte er sich wohl. Was immer Hector auf dem Herzen lag, Schuldgefühle waren es sicherlich nicht.
    »Niemandem«, sagte er. »Keiner ist schuld. Es war einfach eines dieser schrecklichen Dinge, die jedem zustoßen können.«
    Hector nickte lebhaft. Er kannte sich aus mit diesen schrecklichen Dingen, die jedem zustoßen konnten, die aus irgendeinem Grund aber immer nur ihm zu widerfahren schienen.
    »Ich habe gehört, Sie haben mit Mrs. Glenister gesprochen«, fuhr Pascoe fort; dann, als er bemerkte, wie sich die vertraute Leere auf Hectors Gesicht ausbreitete, fügte er hinzu: »Chief Superintendent Glenister von der Anti-Terror-Einheit.«
    »Glenister?«, fragte Hector. »Joker sagt, sie heißt Sinister. Die, die so komisch redet?«
    Constable Jennisons Taubheit hatte seine Vorliebe für Witzchen augenscheinlich nicht beeinflusst, dachte sich Pascoe, wofür man ihm dankbar sein sollte.
    »Ja, das tut sie. Man nennt das schottischen Akzent. Das ist Mrs. Glenister. Ich hoffe, Sie haben ihr helfen können.«
    »O ja«, versicherte Hector. »Hat mich ständig nach den Männern gefragt, die ich im Laden gesehen habe. Immer wieder hat sie mich gefragt. Ich war schon ganz verwirrt, aber Mrs. Sinister – Verzeihung, Mrs. Glenister – sagt, ich soll mir keine Sorgen machen, weil die Männer, die ich gesehen habe, ja sowieso in die Luft gesprengt worden sind. Dann hat sie mir bei meinem Bericht geholfen.«
    »Das war aber sehr nett von ihr«, sagte Pascoe. »Und es ist nett von Ihnen, dass Sie mich besuchen. Aber ich bin jetzt ein wenig müde, Hector …«
    Er hielt inne und begann bis fünfzig zu zählen. Hector eine Andeutung zukommen zu lassen war, als schaltete man einen altmodischen Rundfunkempfänger an, bei dem man erst warten musste, bis die Röhren warm wurden. Bei sechsundvierzig stand Hector auf und sagte: »Ich geh dann mal lieber.«
    Er machte einen Schritt zur Tür und drehte sich um.
    »Hab ich fast vergessen«, sagte er. »Das hab ich Ihnen mitgebracht …«
    Aus den Tiefen seiner Jacke zog er eine Papiertüte, die er sorgsam auf das Nachtkästen legte. Dann setzte er sich wieder in Bewegung. Diesmal schaffte er es bis zur Tür, bevor er sich erneut umdrehte.
    »Sir«, sagte er. »Ich hoffe, Mr. Dalziel stirbt nicht. Er ist sehr gut zu mir.«
    Dann war er fort und ließ Pascoe zurück, der nicht weniger verwundert gewesen wäre, wenn gerade der Erzengel Gabriel hereingeschneit wäre und ihm mitgeteilt hätte, dass er auserwählt sei, ein Kind zu empfangen. Er machte es sich auf seinem Kissen bequem und sann über die Art der Güte nach, die der Dicke Hector angedeihen ließ, bis er wieder die Papiertüte auf dem Nachtkästchen bemerkte und nach ihr griff.
    Sie enthielt eine Cremetarte, ziemlich zerquetscht, aber noch immer als solche zu erkennen.
    »O Scheiße«, sagte Pascoe.
    Und plötzlich, aus keinem besonderen Grund, zerbröselte die Wand, die er bewusst oder unbewusst zwischen sich und den Ereignissen in der Mill Street errichtet hatte, gleichsam wie die Mauern des Hauses Nr. 3, und als die Schwester nachsehen kam, ob alles in Ordnung sei, hatte er das Gesicht in seinem Kissen vergraben und schluchzte krampfhaft vor sich hin.

Zweiter Teil
    Entbehrlich sind die Tage
    Da eine Gleichung stirbt
    Auch Freund, Natur – gestrandet dann
    In unserem Etat
     
    Unser Kalkül ein Plan –
    Die Resultate Trug –
    Wir lassen alle Zeit vergehn –
    Und rechnen sie nicht an –
     
    Emily Dickinson,
    »Gedicht 1184«
     

1
    Ein aufgeräumter Schreibtisch
    Am dritten Tag hätte es in Mid-Yorkshire viele, die sonst wenig für ihre religiöse Inbrunst bekannt waren, kaum überrascht, wenn Dalziel sich sein Krankenhausbett gepackt, es durchs Fenster geschleudert und sich auf und davon gemacht hätte.
    Im Zeitalter von Handys und digitalem Fernsehen aber waren Alltagswunder aus der Mode gekommen, weshalb der Tag heraufdämmerte und sich wieder verabschiedete, während der Dicke noch immer im Koma lag.
    Pascoe dagegen gelang es, aufzustehen und von dannen zu humpeln, nicht aufgrund göttlichen Eingreifens, sondern kraft des nörgelnden Dr. John Sowden, der ihn schließlich entließ, allerdings unter der strikten Auflage, dass er sich mindestens sieben Tage Erholungsurlaub

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