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Der Tod und der Dicke

Der Tod und der Dicke

Titel: Der Tod und der Dicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Freunden überreicht«, blaffte sie. »Warum fragen Sie sie nicht einfach?«
    Er ging darauf nicht ein. »Und was können Sie über die Lage der Gliedmaßen sagen?«
    »In den meisten Fällen weisen Torso und Gliedmaßen einer aus einem Brand geborgenen Leiche eine charakteristische Fötushaltung auf. Das haben Sie vielleicht schon mal gesehen. Hier jedoch lagen die Beine, wie es ganz typisch ist, eng an der Brust, die Arme aber kamen nicht nach vorn, sondern blieben aus irgendeinem Grund auf dem Rücken.«
    »Sie meinen, als wären sie durch irgendetwas von ihrer natürlichen Bewegung abgehalten worden? Als wären die Arme hinter dem Rücken gefesselt gewesen? Mit einem Knebel im Mund, der diese feine Asche hinterlassen hat?«
    »Das ist Ihr Fachgebiet, nicht meines«, sagte sie. Aber es war ihr anzusehen, dass sie diese Spekulationen ebenfalls schon angestellt hatte.
    »Ja, so ist es«, sagte er. »Können Sie mir noch etwas erzählen?«
    »Außer, dass Sie sich verpissen sollen? Nein.«
    Es wäre nett gewesen, ihr das letzte Wort zu lassen, aber das konnte er nicht dulden, um ihretwillen und um seinetwillen nicht.
    Sie war wütend. So wütend, dass sie vielleicht jemandem was davon erzählte, der es wieder jemand anderem … Um ihret- und seinetwillen musste er sie daran erinnern, was Wield ihm gesagt hatte.
    Die Wut ist bis zum Schlafengehen wieder verraucht. Die Angst dagegen wartet noch auf dich, wenn du mitten in der Nacht allein in deinem Bett aufwachst.
    Er trat einen Schritt auf sie zu.
    »Dann hören Sie jetzt gut zu«, sagte er. »Man hat Sie zuvor gewarnt, den Mund zu halten. Ich warne Sie jetzt wieder. Aber diesmal sollten Sie darauf hören.«
    Als er ihr Büro verließ, kam er sich machtvoll und vollkommen souverän vor. Doch schon nach ein paar Metern fühlte er sich so schuldbeladen, dass er sich gerade noch zurückhalten konnte, umzukehren und sich bei ihr zu entschuldigen.
    Sogar jetzt noch, als er in seinem Wohnzimmer saß, bereitete ihm die Erinnerung daran ein schlechtes Gewissen. Intelligente junge Frauen zu schikanieren fiel ihm nicht leicht.
    Schikanieren.
    Was bekanntlich im Englischen hectoring heißt … Er ließ seine Gedanken schweifen.
    Wie hatte Hektor, der große Held, die Verkörperung edler trojanischer Denkungsart, im Lauf des siebzehnten Jahrhunderts in der englischen Sprache nur zu einem solch verächtlichen Ausdruck für das Gebaren tyrannischer Großmäuler werden können? War das in anderen Sprachen ebenso oder nur bei den Engländern mit ihrem sicheren Boulevard-Instinkt, der sie stets dazu trieb, nach tönernen Füßen Ausschau zu halten, um alte Helden zu Fall zu bringen?
    Nicht dass »tyrannisches Großmaul« die schlimmste Bedeutung des Ausdrucks wäre, zumindest nicht in Mid-Yorkshire. Er versuchte sich eine Begegnung zwischen dem Königssohn Hektor in all seinem Pomp und dem Constable Hector in all seiner Erbarmungswürdigkeit vorzustellen. Vor einen Wagen zu laufen, wäre dagegen eine freundliche Umarmung gewesen! Letztendlich aber dürfte es der erbarmungswürdige Constable sein und nicht der stolze Königssohn, den er vielleicht brauchte, um seine noch wackelige Hypothese zu stützen, die er auf den Ruinen der Mill Street errichtete.
    Mach Hector nicht runter, tadelte er sich. Irgendwie, wenn die Erde nicht mehr erbebte und der Staub sich gelegt hatte, würde Hector immer noch da sein. Irgendjemand dort oben mochte ihn so weit, dass er ihn durch alle Gefahren hindurchlotste. Schließlich erzählte uns Homer, dass die olympischen Götter allesamt ihre Lieblinge hatten, die sie unter Aufbietung all ihrer Kräfte beschützten. Nicht ohne Neid erinnerte er sich, wie Paris, der alles ausgelöst hatte, sich gegen den rachsüchtigen Menelaos in einen titanischen Kampf stürzte und schließlich, dem Hahnrei unterlegen, diesem ausgeliefert zu Füßen lag, bis Aphrodite ihn plötzlich vom Schlachtfeld hinfort wirbelte und ihn in seinem dufterfüllten Schlafzimmer neben seine prächtige Geliebte legte.
    So, in Gedanken bei Troja, schlief Pascoe auf dem Sofa ein, aber er träumte nicht von Schlachten. Stattdessen versetzte ihn sein zu Wortspielen aufgelegtes Unbewusstes auf die sinkende Titanic, auf der er zur Küste hin blickte, wo Helena, die sehr seiner Ellie glich, barbusig auf einem der Türme Illions stand.

4
    Troja
    Auch Hector war mit Troja beschäftigt.
    Natürlich hatte seine Schutzgöttin, die in niedrigeren Gefilden als den olympischen residierte, es nicht

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