Der Tod Verhandelt Nicht
ihm gleich zwischen den Fingern zerspringen. »Sie hasst mich. Deswegen wollte sie mir auch kein Kind schenken. Aber sie gehört mir seit zwanzig Jahren. Und jetzt, da ich bald sterben muss, will ich nicht auf sie verzichten.«
»Dann jagen Sie Vincenzo weg.«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht mal das kann ich machen.«
»Haben Sie jemandem versprochen, ihn zu beschützen?«
Er nickte. »Seinem Vater. Bevor er gestorben ist.«
Und dann tat Ganci etwas, womit ich nie gerechnet hätte. Mit beiden Händen klammerte er sich an der Tischplatte fest, stand mit unglaublicher Mühe von der Bank auf – und packte mich am Kragen meines Hemdes.
»Sie hätten nicht herkommen dürfen. Jetzt wird alles noch viel schwieriger für mich. Gabriele Sanna hat seinen Anteil mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen. Sein Sohn ist nie nach Tertenia gekommen.«
»Wieso sind Sie da so sicher?«, entgegnete ich ruhig, nachdem ich seine Hand von meinem Hemd genommen hatte.
Ganci ließ sich zurück auf die Bank sinken. Die Emotionen, die ihn beutelten, hatten seine Augen mit einem trüben Schleier überzogen: Von ihrem Funkeln war nichts mehr übrig geblieben, sie wirkten wie erloschen, waren grau und glanzlos geworden. Wir bliebensitzen, den Kopf voller Fragen, während der Mistral um die Veranda heulte und seine Böen die Dunkelheit wie Messerklingen zerschnitten. Ich stand auf, denn an diesem Abend würde ich sicher nichts mehr von ihm erfahren. Zum Abschied berührte ich ihn kaum merklich am Arm.
»Gute Nacht, Signor Ganci. Und danke für das Abendessen.«
Er antwortete nur mit einem Zucken der Schultern, als ob ich schon gar nicht mehr da wäre. Vielleicht spürte er auf dem Weg in seine eigene Verdammnis der Duftspur der Französin nach.
Als ich in den Garten trat, blies mir ein gewaltiger Windstoß ins Gesicht. Von der Rückseite des Hauses nahm ich den Schein des Feuers und das gedämpfte Stöhnen zweier menschlicher Körper wahr.
Infernalische Schatten, die am Abgrund der Nacht tanzten.
Erwachen
Die Nacht bescherte mir nicht gerade einen ruhigen Schlaf. Kein Waffenstillstand vonseiten des Windes. Die Böen verbissen sich in den Fensterläden aus Aluminium, die ich extra festgebunden hatte. Virgilio hatte bei seinen jedoch nicht daran gedacht, sodass sie dort immer wieder gegen die Wand schlugen. Mein Gastgeber hatte den Sonntag mit seiner Familie in Terteniaverbracht, daher war ich in Sarrala ganz allein. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich in die Dunkelheit und zählte die dumpfen Schläge der Fensterläden. Sie trafen mich wie Ohrfeigen und ließen mich in Gedanken zu dem Abendessen bei Ganci zurückkehren. Eine Erinnerung voll düsterer Vorahnungen, noch zu frisch, um mich in den Schlaf gleiten zu lassen. Was hatte der Alte mir sagen wollen mit seinen letzten Worten? Weshalb war jetzt alles schwieriger? Just in dem Moment, als ich endlich einnickte, klingelte mein Handy.
»Pronto?«
»Ist Aglaja bei dir?«
Claras Stimme. Gezeichnet von einer tief verwurzelten Sorge, die sie lange mit sich herumgeschleppt haben musste, bevor sie sich entschlossen hatte, mich anzurufen. Zugleich versprühte sie Funken von Angst und Hass. Ich musste spontan an die Königin der Nacht aus Mozarts ›Zauberflöte‹ denken:
Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen …
Genauso wirkte Clara jetzt auf mich. Ein höllischer Rachedurst brannte in ihrem Herzen.
»Sie ist heute Morgen weggegangen und bisher nicht zurückgekommen.«
Im Hintergrund hörte ich, wie auch Giovanni seinem Groll Luft machte, weshalb ich versuchte, die beiden zu beschwichtigen.
»Sie wird bei einer Freundin übernachten. Habt ihr mal rumtelefoniert?«
»Versuch nicht, abzulenken, Bacci. Hat sie dich angerufen? Hat sie gesagt, dass sie zu dir kommt? Sag mir die Wahrheit!«
»Nein, ich habe nichts von ihr gehört. Und das ist die Wahrheit!«
»Aglaja hat ihren Rucksack mitgenommen, den Badeanzug und ein paar Sachen. Sie muss zu dir gefahren sein!«
»Selbst wenn sie auf dem Weg hierher sein sollte, dann ist sie nicht vor morgen hier. Hast du versucht, sie auf dem Handy zu erreichen?«
»Ihr Telefon ist ausgeschaltet. Ich bin mir sicher, dass sie zu dir fährt. Versprich mir, dass du mich anrufst, sobald sie angekommen ist.«
»Versprochen.«
»Ich rufe jetzt die Polizei an«, hörte ich Giovannis Stimme im Hintergrund.
»Ich würde jetzt nichts überstürzen, Clara«, versuchte ich es noch einmal. »Wenn sie die Fähre nach Olbia genommen hat, kann
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