Der Tod Verhandelt Nicht
alles liebte.«
Ich spähte hinüber zu Martine Ganci. Sie lag bäuchlings auf ihrem Handtuch, die Füße in Richtung Meer, den Kopf zu den Sanddünen gewandt, wo die üppig wachsenden Lentisken die Sicht auf die dahinter liegenden Häuser verdeckten. Sie war völlig in ihre Lektüre versunken und schien keine Notiz davon zu nehmen, was um sie herum passierte. Der Strohhut warf einen Schatten auf ihr Gesicht, die Mittagssonne brannte jedoch auf ihren Rücken und ihre Beine. Mir fiel auf, dass Martine, sobald sie allein war und sich nicht in lüsternen Männerblicken spiegeln sowie ihrer Attraktivität versichern konnte, fast zum Schatten ihrer selbst wurde, ein flüchtiges Wesen, das das Licht wie die Finsternis oder den Nebel einfach auflöste.
Während ich meinen Gedanken nachhing, sah ich Aglaja und Laura Seite an Seite zu uns zurückkommen. Sie plauderten und lachten, die Verstimmung von vorhin schienen sie bereits vergessen zu haben. Auf sie beide hatte das Licht einen völlig anderen Effekt: Es badete ihre jungen Körper in einem verheißungsvollen Glanz, der ihre baldige Blüte verhieß. Die Französin hatte die beiden Mädchen ebenfalls bemerkt und hob nun den Kopf. Laura und Aglaja blieben bei ihr stehen. Leider konnte ich nicht verstehen, was sie sagten, aber nachdem sie wohl die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht hatten, schienen sie sich prächtig zu amüsieren.Alle drei lachten aus vollem Hals und warfen den Kopf in den Nacken. Von Zeit zu Zeit wechselten die Mädchen komplizenhafte Blicke, ansonsten schienen die drei in bestem Einvernehmen zu sein.
Virgilio beobachtete sie ebenfalls stumm, doch sein Schweigen schien überzufließen vor Gedanken. Immer wieder zog er nervös an seiner Zigarre. Offensichtlich befürchtete er, dass unsere Töchter zu zwei wandelnden Tretminen werden könnten.
»Ist dir aufgefallen, dass Aristarco Ganci mit Sanna in Verbindung gebracht hat?«, sagte er schließlich.
»Vielleicht hat er uns ja nur auf den Zahn fühlen wollen.«
»Er hat von seinen Kunden gesprochen, die an Gancis Besitz heranwollen. Wenn das nun die Canus sind?«
»Als ich gestern Nachmittag in Gancis Villa war, stand auf einmal Aristarco in der Tür. Die beiden waren verabredet, und es sah so aus, als hätten sie etwas Wichtiges zu verhandeln.«
»Warum hat er dich eigentlich rufen lassen?«
»Stell dir vor: Um meiner Tochter eines seiner Pferde anzubieten.«
Das überzeugte Virgilio ebenso wenig wie mich, er zog die Augenbrauen hoch und schürzte die Lippen.
»Das erinnert mich an die Aktion mit mir und dem Weinberg in Porto Santoru.«
»Mich hat er mit einem exzellenten Kaffee und einer Menge Gerede bei Laune gehalten. Kaum ist jedoch Aristarco aufgetaucht, hat er mich gnadenlos abserviert. Ich hatte den Eindruck, dass er das mit Absicht gemacht hat. Er wollte, dass wir uns bei ihm begegnen.«
»Um Aristarco in der Überzeugung zu bestärken, dass du für ihn arbeitest?«
»Kann sein. So, wie der mich angesehen hat, würde ich sagen, dass das Ganci ganz hervorragend gelungen ist. In den Augen von Aristarco lag jene Form von Verachtung, die man Meineidigen entgegenbringt.«
»Aber auf diese Weise deckt Ganci ja seine Karten auf.« Virgilio schüttelte den Kopf. »Falls Aristarco tatsächlich für die Familie Canu arbeitet, spielt der Alte mit seinem Leben.«
»Seine Frau hat gesagt, dass er sich noch ein paar Tage Leben erkaufen wolle.«
»Wenn der Einsatz dafür der Mord an Mario Canu ist«, erklärte Virgilio lapidar, »dann täuscht er sich gewaltig. Der Tod verhandelt nicht.«
Mein Blick schweifte wieder hinüber zu der Französin, die noch immer mit unseren Töchtern redete und lachte. Ein Bild voller Unbeschwertheit und Freude, das sich nicht deutlicher von unseren düsteren Gesprächen hätte abheben können. Dabei steckte sie selbst bis über beide Ohren in der Geschichte drin. Von wegen die Angelegenheiten ihres Mannes interessierten sie nicht. Das Geld gehörte schließlich auch ihr. Ganci war schwer krank und hatte nicht mehr lange zu leben. Sie musste jedes Detail der Geschäfte ihres Mannes kennen und erdreistete sich dennoch, seinen Geschäftssinn zu verlachen.
In Wahrheit machst du dir doch vor Angst in die Hosen
, hatte sie ihm ins Gesicht gesagt. Es schien fast so, als bereite es ihr das größte Vergnügen, ihren Mann zu demütigen und zu verletzen – noch mehr, als mitVincenzo zu vögeln. Oder mit meiner Wenigkeit herumzuknutschen.
In diesem Moment kamen Aglaja
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