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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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prozessorgebundenen Geräte genannt wurden, drastisch bestraft.
    Dabei gab es seit langem keine Schnittstellen mehr zu den großen Steuerungsnetzen, deren vielfach verschlüsselte Nanotechnologie die alten Geräte von der Rechenleistung hoffnungslos überforderten. Der Reiz früherer Zeiten, durch Viren oder Schadprogramme auf sich aufmerksam zu machen, war seit dem obligatorischen Tragen der Emotikons in die Bedeutungslosigkeit versunken.
    Doch dies war es auch nicht, was El Capitan an der alten Technik reizte. Die Fingereingabegeräte, die man liebevoll ›Mäuse‹ genannt hatte, Bildschirme, auf denen zweidimensionale grobe Abbildungen ohne Geruch zu sehen waren, Buchstaben, die man einzeln mit den Fingern eingeben musste – all dies strahlte für ihn einen Charme aus, der in die Epoche des vergangenen Jahrhunderts passte.
    Und da gab es diese Filme, die El Capitan irgendwo auf Alfreds alten Speichermedien entdeckt hatte. Er wusste, dass dies ausgedachte Geschichten waren, bei denen die Beteiligten sich so verhielten, als sei das, was sie taten und sagten, die Wirklichkeit. Bei den Zuschauern, die so einen Film in großen Gemeinschaftshäusern anschauten, musste das sehr populär gewesen sein und Gefühle hervorgerufen haben, die denen glichen, die der Emotikon heutzutage perfektioniert bot.
    Vor allem zwei dieser Filme hatte El Capitan immer wieder angeschaut. Im einen kämpfte sich ein Sicherheitsagent, dessen Namen und Codenummer seltsamerweise jeder kannte, in einer Gewalt- und Ballerorgie quer über den Globus. Der andere Film gefiel El Capitan noch besser. Er stellte die merkwürdige Art dar, wie sich Männer und Frauen, die man zu jener Zeit noch bewusst unterschied, einander körperlich begegneten. Der Zweck des Ganzen war El Capitan bis heute nicht ganz klar, doch es amüsierte ihn, dass es Tage dauern konnte, bis die Paarungsbereitschaft so weit gediehen war, dass es zu einer Begegnung kam, die man als ›Kuss‹ bezeichnete.
    Zunächst hatte ihn die Vorstellung einer ungeschützten Berührung der Biohülle einer anderen Person abgestoßen. Doch je länger sich El Capitan mit diesen seltsamen Gebräuchen beschäftigte, desto mehr wuchs seine Neugier und mit ihr der Gedanke, dies einmal selbst zu erleben. Das größte Hindernis war, dass es niemanden im Umfeld des Capitan gab, mit dem er diesen Versuch unternehmen konnte. Lange hatte er dieses Problem mit sich herumgetragen, bis er endlich vor ein paar Wochen eine Lösung fand, die ihn in ihrer Einfachheit frappierte. Und heute war der Tag, an dem er den Plan in die Realität umsetzen würde.

    Das Licht in dem kleinen Sitzungssaal hoch über der Stadt dimmte langsam herunter, während Dünkis Schwebesessel sich lautlos zur Mitte drehte. Vor den beiden Männern bildete sich in der Leere des Raumes eine riesige pechschwarze Kugel. »Schauen Sie genau hin.«
    Dünki konzentrierte sich auf die konturenlose Schwärze. Wie eine Zeitrafferaufnahme des Abendhimmels, an dem der Reihe nach die Sterne aufleuchteten, erschienen plötzlich an verschiedenen Stellen kleine Lichtpünktchen. In kürzester Zeit war das Dunkel mit einer unübersehbaren Zahl von Lichtern übersät, die sich lautlos bewegten und auf eigenartige Weise flackerten.
    »89473.« Anand sprach die Zahl langsam und gewichtig aus. »Exakt die Anzahl der registrierten Bewohner der Verwaltungseinheit München 12. Jeder trägt einen Orwell 3000.«
    Dünki richtete sich langsam in seinem Schwebesessel auf. Jetzt begann er zu verstehen.
    »Jeder Einzelne ist mit jedem Anderen verbunden. Jeder kann mit jedem Kontakt aufnehmen. Und wir können alle erreichen. Einzeln oder gemeinsam.«
    Dünki schluckte. »Das ist die totale Kontrolle.«
    »So können Sie es nennen.« Anand schaltete die Projektion ab. Der Raum erhellte sich, und die beiden Sessel fuhren sanft in ihre Ausgangsposition zurück. »Ich persönlich bevorzuge den Ausdruck ›Gemeinschaft des Vertrauens‹.«
    Für ein paar Minuten saßen die beiden Männer schweigend beieinander. Aus den Wänden und von der Decke strömte eine Mischung aus Tönen und Gerüchen, die die beiden in einen angenehmen Entspannungszustand versetzten.
    Dünki ergriff als erster wieder das Wort. »Beeindruckend. Und dennoch …« Er zögerte. »Eine Manipulation würde doch katastrophale Folgen haben. Eine unautorisierte.«, fügte er rasch hinzu.
    Anand lächelte. »Sehen sie, genau das ist das Geniale an dem System. Es wehrt sich nicht gegen Hacker oder ähnliche

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