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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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mittleren Darmbereich fest mit dem Körper verwuchs, waren sämtliche Daten zusammengefasst, die das rechtliche, soziale und wirtschaftliche Dasein seines Trägers ausmachten. Vom Moment der Freischaltung an wurden die medizinischen Werte erfasst und gespeichert, sämtliche finanziellen Transaktionen – vom Gang in den Supermarkt bis zum Hauskauf – wurden direkt über den Orwell 3000 abgewickelt. Lückenlose Aufenthalts- und Bewegungsprofile, Eintrittsgebühren in Museen, Sport- und Vergnügungsparks, Mitgliedschaften, Fahr- und Flugberechtigungen – kein Bereich wurde ausgespart.
    Dünki hielt sein Trinkröhrchen in eine längliche Vertiefung, wo es durch eine kaum sichtbare Düse sofort nachgefüllt wurde. Zufrieden betrachtete er die klare, smaragdglänzende Flüssigkeit, in der vereinzelte Perlen aufstiegen. Das durchschlagende Argument neben der endgültigen Abschaffung von Bargeld, Schecks und ähnlichem war für die Bevölkerung Deutschindiens die Aussicht auf eine völlig verbrechensfreie Zukunft gewesen. Nichts konnte mehr unbeobachtet bleiben, jeder Diebstahl, jedes Kapitalverbrechen würde dem Komitee auf Knopfdruck den Verursacher liefern. Nach den Jahren des ungezügelten Individualismus war die Sehnsucht der Menschen nach Sicherheit und gemeinsamen Werten ständig gewachsen.
    Anand hob sein Röhrchen und prostete Dünki zu. »Ich zweifle nicht, dass wir auch dieses Mal eine zufriedenstellende Übereinkunft finden werden.« Dünki lächelte. Der Lizenzvertrag würde seiner Firma erneut einen unglaublichen Profit bescheren, von seiner eigenen Provision ganz zu schweigen. »Erlauben Sie mir eine Frage, lieber Anand. Wie sieht es aus mit möglichen Manipulationen?«
    Sein Gesprächspartner hob die Augenbrauen. Dünki wusste im selben Moment, dass er etwas Falsches gesagt hatte. »Ich – wollte damit sagen …« Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Auf keinen Fall durfte er die Integrität seines Gegenüber anzweifeln.
    »Sie meinen – die Möglichkeit eines unautorisierten Zugriffs?« Anand blieb überraschend gelassen. »In der digitalen Steinzeit, also ehe die privaten Computer abgeschafft und verboten wurden, nannte man diese Leute ›Hacker‹.« Er lehnte sich zurück und lächelte. »Gibt es natürlich heutzutage so gut wie gar nicht mehr. Technisch zu aufwendig für Privatleute. Es gab eine Zeit lang kleinere Diebstähle beim Emotikon, dazu ein paar bekannt gewordene Manipulationen, aber eher Spielereien. Im Übrigen sind diese Leute dem Komitee alle bekannt und registriert. Wir halten sie unter Beobachtung und lassen sie gewähren. Dazu ein kleiner Unfall von Zeit zu Zeit, der sie nicht übermütig werden lässt …«
    Mit einer kaum wahrnehmbaren Fingerbewegung schaltete er den Raumprojektor ein. »Ich will ihnen das Prinzip des Orwell 3000 erläutern.«

    Seinen richtigen Namen kannten nur wenige, er selbst benutzte ihn kaum. Er nannte sich ›El Capitan‹, ein Name, den er in einem uralten E-Buch gefunden hatte und der aus einer Zeit kam, als Frachtschiffe noch Besatzung an Bord hatten, eine kleine Gruppe von Spezialisten, die in der Lage war, Geschwindigkeit und Kurs manuell zu steuern. Die Menschen dachten bis ins 21. Jahrhundert hinein noch anders. Vielleicht brauchten sie die Illusion, ihre Geschicke selbst beeinflussen zu können.
    El Capitan hatte sich zuerst aus Spaß, dann mit zunehmender Neugier mit dieser Zeit beschäftigt, die von der modernen Geschichtsschreibung als ›Zweites Mittelalter‹ bezeichnet wurde. Als technisch interessierter Mensch faszinierten ihn neben den Schiffen vor allem die damaligen primitiven Fortbewegungsmittel, die man ›Automobile‹ nannte, sowie die Anfänge der Bildübermittlung in groben Kästen aus Glas und Plastik.
    Und natürlich Computer. Fast liebevoll ließ er seinen Blick über die Aufbauten in seinem Zimmer schweifen. Jeder der grobschlächtig anmutenden Apparate, deren Anordnung für einen anderen als ihn eine Ansammlung von Elektroschrott in heillosem Durcheinander darstellte, hatte seine eigene Geschichte. Den Grundstock seiner Sammlung hatte er von Alfred, seinem väterlichen Freund übernommen, nachdem dieser unvermittelt durch einen Phasenschock im Badezimmer ums Leben gekommen war. Nach und nach hatte er die Sammlung ausgebaut, wobei es nicht einfach war, in die Schwarzmarktszene überhaupt einzudringen. Seit der Einführung des Komitees vor 16 Jahren wurde bereits der Besitz digitaler Operatoren, wie die

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