Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Anzug die Klasse betrat. Dieser war sehr groß und etwas füllig. Frau Dr. Zeidler stellte ihn als Kriminalkommissar Huber vor, der der Klasse einige Fragen zu Herrn Dorst stellen wollte. Der Schulpsychologe war auch dabei sowie eine Polizistin in Uniform, die als Frau Köhler vorgestellt wurde.
Leon wurde ganz schlecht, als er sah, wie der Psychologe auf Marcel, Serkan, Hassan und schließlich auf ihn zeigte.
Frau Diettrich war nervös und wiederholte eine alte Lektion, aber niemand berichtigte sie, alle wollten nur wissen, warum die Polizei in der Schule war. Leon dachte nur: ›Die haben den Chat zurückverfolgt, jetzt sind wir alle dran.‹
Serkan wurde zuerst gebeten, mit der Polizei mitzugehen. Frau Köhler brachte ihn nach ca. 20 Minuten zurück. Er sah etwas blasser aus als zuvor, aber sie konnten nicht miteinander sprechen, denn die nächste Stunde hatte gerade angefangen, Geografie bei Frau Böhm. Jetzt nahmen sie Hassan mit. Der kam nach 30 Minuten wieder, ging ganz dicht an Serkan vorbei und zischte so, dass Leon es auch hörte: »Du bist fällig, hast deine dreckige Klappe wohl nicht halten können. Wenn wir dran sind, dann seid ihr es auch.« Dabei fegte er wie aus Versehen Serkans Schulbücher vom Tisch. Als dann noch Aylin aufsprang, um Serkan beim Aufheben zu helfen, lief Hassans Gesicht so rot an, dass Leon dachte, er würde gleich platzen. Als er einen Schritt auf Serkan zuging, sagte Frau Böhm: »Hassan, wenn du den Unterricht noch länger aufhältst, kannst du nächste Stunde einen Vortrag zur Kontinentalverschiebung halten, als Auffrischung für alle.« Darauf setzte sich Hassan widerstrebend.
Leon wurde gebeten mitzugehen. Er erhob sich schwerfällig und bekam beim Rausgehen gerade noch mit, wie sich Marcel bei der Lehrerin wegen Übelkeit entschuldigte und zur Toilette eilte. Die Polizistin führte Leon in das kleine Vorbereitungszimmer für die Lehrer, das gleich neben dem großen Lehrerzimmer eine Etage über ihrem Klassenraum lag. Der Kommissar saß an dem kleinen Tisch und forderte ihn auf, sich zu setzen: »Du bist der Leon Scholz, nicht wahr? Ich darf doch du sagen oder?« Leon konnte nur nicken. »Euer Schulpsychologe, Herr Fechner, sagte uns, dass du besonders aufgewühlt warst, als du von Herrn Dorsts Unfall gehört hast. War er dein Lieblingslehrer?« Diesmal schüttelte Leon nur den Kopf. »Leon, hast du einen PC zu Hause?« – Nicken – »Gehst du damit auch in Chatrooms?« – Nicken – »Hast du dort auch etwas von deinem Lehrer gehört?« – Schütteln – Nicken – Schütteln. Leon liefen jetzt Tränen über die Wangen, und er schaute nur noch stur auf seine Schuhspitzen. Er wollte hier weg. Von der Seite schob die Polizistin ein Glas Wasser vor ihn auf den Tisch, dann legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. »Hast du von seinen Machenschaften etwas mitbekommen? Hat er dich deswegen erpresst?«, fragte sie einfühlsam. Leon blickte auf, er sah Frau Köhler an, nicht den Kommissar. »Wir wollten ihn davon abhalten, aber beide waren so versessen darauf, wollten sich die Pläne aus dem Netz holen. Wir dachten doch nicht, dass sie es wirklich tun, und jetzt werden wir alle bestraft«, stammelte er. Er bemerkte nicht, wie der Kommissar und die Polizistin einen kurzen fragenden Blick wechselten. »Ihr werdet nicht bestraft, denn ihr wolltet es ja nicht. Wo im Netz wollte er die Pläne denn finden?«, fragte der Kommissar mit leiser Stimme. »Na unter Auto oder Käfer oder so, denke ich«, jetzt war Leon nur noch resigniert. »Und was wolltet ihr genau mit dem Wagen machen?«, fragte Frau Köhler auf ein Nicken von Huber weiter. »Die Bremsschläuche wollten sie ihm durchschneiden. Serkan und ich haben versucht, sie abzuhalten, vergeblich, und nun ist Dorst tot.« Jetzt weinte Leon richtig. Die Polizistin reichte ihm ein Taschentuch. »Das war es also«, sagte Huber zu Frau Köhler, diese nickte wissend zurück. »Nur ihr vier: Serkan, Hassan, Marcel und du wart in eurem Chatroom?«, fragte sie Leon. Er nickte nur und blickte etwas gefasster den Kommissar direkt an. Dieser erwiderte den Blick ernst: »Jetzt wissen wir also, warum ihr so betroffen auf die Nachricht vom Tod eures Lehrers reagiert habt. Das ist aber nicht der Grund für unsere Ermittlungen, ich denke du kannst ruhig erfahren, dass wir hier sind, um weitere Machenschaften von Herrn Dorst aufzudecken.« Er blickte Frau Köhler an, und sie fuhr fort: »Euer Herr Dorst muss extrem unter Druck gestanden haben.
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