Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
auch wenn sie nicht selber ans Telefon kommen könnte, weil sie ihr gerade beim Kochen helfe und die Hände tief im Knödelteig stecken hätte. Aber danach hatte Vera meistens gleich zurückgerufen. Sobald ihre Hände wieder sauber waren.
Aber dann fand es Oberländer eines Tages doch heraus. Ein reiner Zufall war das. Oberländer war gerade im Wald gleich hinter dem Dorf unterwegs, als er einen Kuckuck rufen hörte. Einen Kuckuck! Seit Jahren hatte es keinen Kuckuck mehr im Umkreis von werweiß wie vielen Kilometern von Niederwaidling gegeben. Nur drüben im Bayerischen Wald, der jetzt Nationalpark heißt, sollten angeblich noch ein paar leben. Aber hier?
Ganz aufgeregt über seine Entdeckung folgte Oberländer dem Ruf. Bis er ihn entdeckte. Nicht den Vogel, sondern den Körfgen, der am Rande einer Lichtung stand und immer wieder in eine seiner Vogelpfeifen blies. Kuckuck! Kuckuck! So ein Schmarrn, dachte sich Oberländer noch, wen wollte denn der damit anlocken, wo der Kuckuck hier doch längst ausgestorben war? Doch im selben Moment erhielt er die Antwort: Vera kam über die Wiese gelaufen, sie flog förmlich auf den Doktor zu und ihm um den Hals.
Er schaute nicht bis zum Ende zu, das hätte er nicht ausgehalten. Über einen großen Umweg ging er heim, mit Magenweh und einem Kloß im Hals. Er weinte sogar. Aber nur ganz kurz. Dann stieg diese Wut in ihm auf, diese unbändige Wut. Aber er ließ sich nichts anmerken, sagte nichts. Vera auch nicht.
Körfgen darauf anzusprechen, das traute sich Oberländer nicht. Er fühlte sich dem Arzt und Bürgermeister schon immer irgendwie unterlegen. Seiner Wortgewandtheit, in der immer eine ordentliche Portion Arroganz mitschwang, hätte er, Hans Oberländer, der einfache Handwerker, kaum etwas entgegenzusetzen gehabt.
Die Blöße, seine Frau zu bitten, die Finger von Körfgen zu lassen, wollte er sich nicht geben. Also musste der verschwinden. Endgültig.
Ächzend nahm Oberländer den Rucksack wieder auf und wählte den linken der beiden Wege. Der Pfad war ihm vertraut, er hätte ihn blind gehen können, so oft war er in den letzten Wochen hier gewesen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit war er Körfgen in den Wald gefolgt, um dessen Gewohnheiten auszukundschaften. So hatte er herausgefunden, dass sich der Vogelkundler immer an derselben Stelle niederließ, um Brotzeit zu machen: direkt unter einer alte Buche. Die stand mitten in einer dicht bewachsenen Mischwaldschonung. Dorthin verirrte sich niemand sonst. Dort sollte es passieren.
Ursprünglich hatte er vorgehabt, einfach ein Loch auszuheben, eine Plane darüber zu legen und Körfgen mitsamt seiner Brotzeit darin verschwinden zu lassen. Aber es hätte Tage gedauert, eine solche Grube tief genug in den steinigen Waldboden zu graben. Körfgen hätte das Loch womöglich vorzeitig entdeckt. Also entschied er sich für eine unauffälligere, wenn auch aufwändigere Lösung. Handwerklich war er schließlich nicht unbegabt.
Es war noch alles da, stellte Oberländer zufrieden fest, als er sein Depot im Unterholz unweit der Buche erreichte: das Werkzeug, die schwarzen Nylonseile, der Wurfhaken, die Umlenkrollen und die Seilwinde. Weit entfernt hörte er jetzt das Glockengeläute, das regelmäßig das letzte Lied der Messe, »Großer Gott wir loben Dich«, untermalte. Unwillkürlich musste er grinsen. Ob der Körfgen seinen Gott immer noch loben wird, wenn er in ungefähr achtundzwanzig Meter Höhe hilflos im Netz zappelt?
Das Netz. Oberländer kniete sich nieder, öffnete den Rucksack und zog sein Meisterwerk heraus. Es war engmaschiger als nötig, geknüpft aus feinen Stahlseilen, rund, versehen mit rostfreien Schäkeln, durch die ein weiteres Drahtseil führte. Dies würde das Netz zuziehen wie einen Kartoffelsack. Wochenlang hatte er in seiner Werkstatt daran gearbeitet, bis es einen Durchmesser von gut drei Metern gehabt hatte. Selbst wenn es Körfgen gelänge, sich daraus zu befreien, den Boden würde er nur im freien Fall erreichen können. Unmöglich, so was zu überleben. Aber an dem Drahtseilgeflecht würde sich sein Widersacher ohnehin nicht nur sprichwörtlich die Zähne ausbeißen.
In Gedanken war Oberländer seinen Plan unzählige Male durchgegangen. Deshalb musste er jetzt nicht lange überlegen, wie er ihn am besten und schnellsten in die Tat umsetzte. Der Haken mit dem daran befestigten Seil krallte sich schon beim ersten Wurf fest in den Wipfel der einige Meter abseits stehenden Birke. Die Winde
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