Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Schröder glaubte sich zu erinnern, dass ihr Name Joyce war.
»Und kennt jemand das Passwort, um die Mails zu lesen?«
»Klaro«, säuselte Laura. Ihr Wonderbra kitzelte Schröders Oberarm. »Cooles T-Shirt übrigens.«
Maria wird mich umbringen, wenn ich ihr das hier erzähle, dachte Schröder. »Können wir uns da gleich einloggen? Es eilt, Mädels!«
»Das sind Zeilen aus einem Sonett von Shakespeare«, meinte Susanne. »Aber der Wortlaut wurde verfälscht. Es heißt richtig:
der Teil von mir, der sich dein eigen heißt
und nicht
der sich dein Leben nimmt
.«
Maria schrieb die Worte auf ein Blatt Papier und schaute zu Susanne hoch. Ein Auge war auf sie gerichtet, das andere schielte zur Wanduhr – oder täuschte sich Maria? »Den Anfang des Gedichtes finden wir sicher auf Charlottes PC «, meinte sie. »Aber es gibt noch einen Schlussteil?«
Susanne rezitierte aus ihrem wundersamen Gedächtnis: »
Oh, dann verlierst du nichts durch meinen Tod Als leere Schlacke, die, des Wurms Vermächtnis, Von jedem Schurkenmesser ist bedroht
… und so weiter.«
»Gruselig«, murmelte Maria. »Sieht so aus, als könnte es bald noch eine weitere Leiche geben.«
Susanne senkte den Kopf. »Ähm, wenn es Ihnen recht ist, Maria, dann mache ich jetzt Mittagspause? Ich habe noch etwas zu erledigen.«
»Klar, geh nur und lass dir Zeit. Gierhartz kommt erst gegen Abend zurück. Ich halte hier so lange die Stellung.«
»Vielen Dank. Sie sind sehr nett.«
Susanne holte ihre riesige Patchworktasche und Maria griff zum Hörer.
»Volltreffer, Masello!«, rief Schröder ins Mobiltelefon. »Die Mädels waren so freundlich, mich an ihren Computer zu lassen. Also, hör zu. Charlotte erhielt am Tag ihres Todes eine Mail:
Doch sei getrost! Wenn dich der harte Spruch Des Todes ohne Schonung einst ereilt, Lebt etwas noch von mir in diesen Zeilen, Das zum Gedächtnis ewig bei euch weilt
.«
»Shakespeare«, sagte Maria, »mehr oder weniger. Aber Sorgen macht mir, dass dieses Sonett weitere Zeilen hat …«
» … die tödlich enden könnten«, ergänzte Schröder.
»Darauf kannst du wetten!«
Schröder hängte auf. Sie wollte rasch zurück ins Kommissariat. Die Zeit lief ihnen davon. Laura führte sie zur Tür. »Besuchen Sie uns doch mal wieder!«
Schröder lächelte und wollte sich schon von dem Wonderbra abwenden, da fiel ihr Blick auf ein Klassenfoto an der Wand. Sie trat näher heran und betrachtete die Köpfe. In der hintersten Reihe entdeckte sie ein bekanntes Gesicht. Sie zeigte mit dem Finger darauf. »Wer ist das?«
»Ach, die schielende Brillenschlange?«, rief Laura aus. »Das ist ein Foto von unserer Abschlussklasse. Die war echt ätzend. Charlotte hat sie oft verarscht, wegen ihrer Macke für Poesie!«
»Ihr wisst nicht zufällig, ob sie in einem Fitnesscenter trainiert hat?«
»Nötig hätte sie es«, bemerkte die Rothaarige spitz.
»Sie ging mal ins Bodymove«, meinte Joyce, »hat mir gebeichtet, dass der Fitnesstrainer dort echt süß sei. Als ob sich jemand für diesen Freak interessieren würde. Sie ging dann auch nicht lange hin, glaube ich.«
»Verflucht«, rief Schröder aus, »und über Kontaktanzeigen im Netz ist sie an Kunz geraten. Mädels, wir haben soeben die Mörderin gefunden!«
Maria hielt noch immer den summenden Hörer in der Hand. Sie hätte Schröder nicht alleine zu den Studentinnen fahren lassen dürfen! Wütend knallte sie den Hörer auf die Gabel. Wie weiter? Sie hatten jetzt eine heiße Spur aber keine Ahnung, wer der Mörder sein könnte und wann das nächste Opfer sterben musste.
Da fiel Maria ein, dass sie sich noch Gierhartz' mysteriöse Mail ansehen wollte. Sie betrat sein Büro und setzte sich an den Computer. Rasch loggte sie sich ein und sah die Nachrichten von heute durch.
Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus, als sie die Zeilen der ersten Mail las: »
Oh, dann verlieren wir nichts durch deinen Tod Als leere Schlacke, die, des Wurms Vermächtnis, Von jedem Schurkenmesser ist bedroht, Zu niedrig für unser dauerndes Gedächtnis. Was sie umschließt, gibt erst dem Leben Wert, Das lebt in der Tat und bleibt euch unvergessen
!«
Schröder war wohl soeben unfreiwillig befördert worden!
Evelyn Rossberg Der Erwählte
Als Erasmus M. eines Morgens aus wirren Träumen erwachte, fühlte er sich verändert. Ein stilles Rauschen, ein lautloses Knistern und Summen füllten seinen Kopf, okkupierten sein Denken und hinderten ihn, einen Vortrag zu repetieren, gleich nach dem
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