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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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lähmende Angst hielt die Menschen davon ab, sich länger als unbedingt nötig draußen aufzuhalten. Jorgensen schlenderte zwischen den verwaisten Tischen eines Straßencafés hindurch, überquerte den Marktplatz und bog in die Algade ein, die längste und größte Straße in Roskildes Fußgängerzone. Seine Schritte trugen ihn an der ehemals blütenweißen Fassade des »Prindsen Hotels« vorbei. Die Sonnenschirme, bei dem Wetter ohnehin zwecklos, drängten sich zusammen mit Tischen und Klappstühlen an die Außenwand der Hotelbar. Das einzige Anzeichen dafür, dass hier überhaupt noch jemand lebte, war ein abgerissener Alter, in fadenscheiniger Jacke mit wirrem Bart, der einen der blechernen Mülleimer durchwühlte. Mit Ausnahme des Bettlers und Jorgensens war dieser Teil der Algade menschenleer. Nur wer es nicht vermeiden konnte, besuchte den Markt, doch auch diesem aus Not oder Trotz geborenen Mut waren Grenzen gesetzt. Jorgensens Blick wurde nach links gezogen, in das Schaufenster eines Elektronikgeschäftes. Die laufenden Fernseher zeigten nur einen einzigen Kanal, klar. Mit einem Thema. Keine dreißig Schritte die Straße hinunter, wo dank des unablässigen Regens nur noch blasse Kreiderückstände auf dem Pflaster erkennbar waren, war vorgestern der siebte und bisher letzte in einer Serie von Morden geschehen, die in der Geschichte der Stadt, ja des ganzen Landes, ohne Beispiel war. Tim Rasmussen, 44 Jahre alt, Hausmeister, Vater von zwei Söhnen, war auf dem Weg nach Hause gewesen, hastig wie alle anderen, die sich noch auf die Straße trauten. Anders als den anderen Passanten war Tim Rasmussen allerdings am helllichten Tag und auf offener Straße der Schädel explodiert. Sein Tod war von drei verschiedenen Überwachungskameras aufgezeichnet worden, die Todesursache dagegen gab den Forensikern Rätsel auf. Wie auch den Beamten der gebildeten Sondereinsatztruppe, zu der auch Jorgensen zählte. Der größte Teil des Schädels war geradezu zerfetzt worden, und wie bei den sechs Opfern zuvor hatte die Spurensicherung winzige Bleisplitter und Rückstände von Nitroglyzerin zwischen den Geweberesten gefunden. Man ging gegenwärtig von einem selbstgefertigten Projektil aus, abgefeuert von irgendeiner großkalibrigen Waffe, einem Jagd- oder Präzisionsgewehr. Die Theorie, dass der Serienkiller, den die Presse »Spogelsen«, den Geist, getauft hatte, ein Heckenschütze war, hatten die Ermittler schon nach dem dritten Opfer aufgestellt, und seitdem wurden die Dächer und die hohen Gebäude rund um die Uhr überwacht. Man hatte sogar Scharfschützen eines Sondereinsatzkommandos in kritischen Positionen postiert, etwa auf dem Gerüst der Kirche. Nichts von alledem hatte den »Geist« davon abgehalten, vier weitere Morde zu begehen, und der Grad der Zerstörung, die er bei seinen Zielen anrichtete, machte die Bestimmung des Eintrittswinkels, die zumindest Hinweise auf die Position eines möglichen Heckenschützen gegeben hätte, vollkommen unmöglich.

    Es hatte am siebten August begonnen. Eine Studentin, die sich als Fremdenführerin auf einem der Tourenboote im Hafen ein Zubrot verdiente, war auf dem Weg aus dem Hafen hinaus, inmitten einer Gruppe japanischer Sommertouristen, mit zertrümmertem Schädel vom Boot gefallen. Seitdem war mit mörderischer Präzision jeden zweiten Tag ein Mensch gestorben. Eine Sekretärin bei einer Wohnungsgesellschaft. Ein Kaufhausdetektiv bei einer Supermarktkette. Eine Kindergärtnerin. Ein Gastprofessor an der Universität. Eine Schalterbeamtin am Bahnhof. Und jetzt der Hausmeister. Drei Männer, vier Frauen, die sich nicht gekannt hatten. Zwischen dem Professor und der Studentin oder der Sekretärin und dem Hausmeister mochte sich eine Verbindung herstellen lassen, doch obwohl der »Geist« bereits sieben Opfer gefordert hatte, ergab sich noch immer kein erkennbares Muster. Vielleicht war es das, was den Menschen die größte Angst einjagte. Der »Geist« war unberechenbar. Er schlug nie am gleichen Ort oder zur gleichen Zeit zu, wählte seine Ziele scheinbar willkürlich. Nur dass er wieder töten würde, daran zweifelte niemand mehr.

Zwanzigster August.
    Der junge Mann, der den Snaeversti hinaufschlenderte, war alles andere als unauffällig. Der schwarze Pelzmantel war einmal teuer gewesen, Jahre bevor sein gegenwärtiger Träger auch nur geboren worden war. Das platinblond gefärbte Haar fiel wild und ungebunden auf seinen Rücken. Die modische Brille auf seiner Nase war so falsch

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