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Der Tod wartet

Der Tod wartet

Titel: Der Tod wartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sich aufgeregt vor.
    «Aber genau das ist der springende Punkt, mon vieux! Alte Damen sind überall auf der Welt gleich. Sie fangen an, sich zu langweilen! Wenn sie gerne Patiencen legen, haben sie irgendwann die Patience satt, die sie zu gut kennen. Sie wollen eine neue Patience lernen. Und genau so ist es bei einer alten Dame, deren Zeitvertreib – so unglaublich das klingen mag – es ist, andere Menschen zu beherrschen und zu quälen! Mrs Boynton war gewissermaßen une dompteuse – sie hatte ihre Tiger gezähmt. Vielleicht war es noch ein wenig aufregend, als die Kinder heranwuchsen. Lennox’ Heirat mit Nadine war ein Abenteuer. Aber dann war plötzlich alles schal. Lennox ist so in Melancholie versunken, dass es praktisch unmöglich ist, ihn zu verletzen oder zu peinigen. Raymond und Carol lassen keinerlei Anzeichen von Rebellion erkennen. Ginevra – ah, la pauvre Ginevra –, sie bietet, aus der Sicht ihrer Mutter, am allerwenigsten Zerstreuung. Denn Ginevra hat einen Ausweg gefunden! Sie flüchtet aus der Realität in eine Traumwelt. Je mehr ihre Mutter sie reizt, desto leichter fällt es ihr, sich das prickelnde Gefühl zu verschaffen, eine verfolgte Heldin zu sein! Aus Mrs Boyntons Sicht ist das alles sterbenslangweilig. Sie muss daher, genau wie Alexander, neue Welten erobern. Und so plant sie eine Reise ins Ausland. Weil dort die Gefahr besteht; dass ihre gezähmten Bestien rebellieren, weil es dort Gelegenheiten geben wird, ihnen ganz neue Qualen zuzufügen! Es klingt absurd, ich weiß, aber so war es! Sie wollte einen neuen Nervenkitzel!»
    Poirot holte tief Luft. «Ein perfekter Plan. Ja, ich verstehe genau, was Sie meinen. So war es. Es passt alles zusammen. Sie wollte gefährlich leben, la maman Boynton – und sie bezahlte den Preis dafür!»
    Sarah beugte sich vor. Ihr blasses, intelligentes Gesicht war sehr ernst geworden. «Wollen Sie damit sagen, dass sie ihre Opfer zu weit trieb und – und dass diese sich gegen sie wandten – oder jedenfalls einer von ihnen?»
    Poirot nickte zustimmend.
    Mit leicht atemloser Stimme sagte Sarah: « Welcher von i h nen? »
    Poirot sah sie an, blickte auf ihre Hände, die krampfhaft die wild wachsenden Blumen umklammerten, in das blasse und starre Gesicht.
    Er antwortete nicht sofort – und blieb vor einer Antwort bewahrt, da genau in diesem Moment Dr. Gérard seine Schulter berührte und sagte: «Sehen Sie, da.»
    Ein junges Mädchen kam den Hügel herauf. Sie bewegte sich mit einer seltsamen rhythmischen Anmut, die den Betrachter an etwas Unwirkliches denken ließ. Ihr rotblondes Haar leuchtete im Sonnenschein, und um ihren schönen Mund spielte ein eigenartiges, geheimnisvolles Lächeln. Poirot hielt den Atem an.
    «Wie schön sie ist», sagte er. «Wie wunderschön und anrührend… So müsste man die Ophelia spielen – wie eine junge Göttin, die sich in eine andere Welt verirrt hat, glücklich, den Fesseln menschlicher Freuden und Leiden entronnen zu sein.»
    «Ja. Ja, Sie haben Recht», sagte Gérard. «Ein Gesicht, von dem man träumt, nicht wahr? Bei mir war dies tatsächlich der Fall. In meinen Fieberträumen öffnete ich die Augen und sah dieses Gesicht – dieses süße, überirdische Lächeln… Es war ein schöner Traum. Ich bedauerte es, dass ich aufwachte…»
    Dann sagte er in seinem üblichen Ton:
    «Das ist Ginevra Boynton.»

Zwölftes Kapitel
     
    K urz darauf hatte das junge Mädchen sie erreicht.
    Dr. Gérard übernahm die Vorstellung.
    «Miss Boynton, das ist Monsieur Hercule Poirot.»
    «Oh.» Sie sah ihn unsicher an. Ihre Finger verflochten sich, bewegten sich rastlos. Die verzauberte Nymphe war aus ihrer Zauberwelt zurückgekehrt. Sie war nur noch ein ganz normales, linkisches junges Mädchen, ein wenig nervös und befangen.
    Poirot sagte: «Was für ein glücklicher Zufall, Sie hier zu treffen, Mademoiselle. Ich wollte Sie bereits im Hotel aufsuchen.»
    «Wirklich?»
    Ihr Lächeln war leer. Ihre Finger begannen am Gürtel ihres Kleides herumzuzupfen. Poirot sagte freundlich:
    «Würden Sie einige Schritte mit mir gehen?»
    Sie folgte ihm gehorsam, fügte sich seiner Laune.
    Bald darauf sagte sie, ziemlich unvermittelt, mit sonderbarer, hastiger Stimme:
    «Sie sind – Sie sind doch Privatdetektiv, oder?»
    «Ja, Mademoiselle.»
    «Ein berühmter Privatdetektiv?»
    «Der beste Privatdetektiv auf der Welt», sagte Poirot im Brustton der Überzeugung, die reine Wahrheit zu konstatieren, nicht mehr und nicht weniger.
    «Sie sind

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