Der Tod wartet
Schuhputzutensilien ausleihen», sagte Sarah unfreundlich. «Und ihr Staubtuch. Die Dame reist doch mit einem kompletten Haushalt durch die Gegend.»
«Das wird aber nicht die Kratzer entfernen, Mademoiselle.» Poirot schüttelte betrübt den Kopf.
«Wahrscheinlich nicht. Warum in aller Welt tragen Sie in so einem Land aber auch solche Schuhe?»
Poirot neigte den Kopf leicht zur Seite. «Ich lege Wert darauf, stets soigné zu sein», sagte er.
«Darauf würde ich in der Wüste lieber verzichten», sagte Sarah.
«Frauen sehen in der Wüste nicht sehr vorteilhaft aus», sagte Dr. Gérard verträumt. «Bei Miss King hier ist das anders – sie ist immer adrett und gut gekleidet. Aber diese Lady Westholme mit ihren dicken Jacken und Röcken und diesen entsetzlich unkleidsamen Reithosen und Reitstiefeln – quelle horreur de femme! Und die arme Miss Pierce – ihre Kleider schlaff wie welke Kohlblätter, und all diese Ketten, die ständig klimpern! Sogar die junge Mrs Boynton, die eine gut aussehende Frau ist, ist nicht das, was man chic nennt. Ihre Garderobe ist sehr uninteressant.»
Sarah sagte ungehalten: «Ich glaube kaum, dass Monsieur Poirot hier heraufgeklettert ist, um sich über Damenbekleidung zu unterhalten!»
«Das ist wahr», sagte Poirot. «Ich kam, um Dr. Gérard zu konsultieren. Seine Meinung wird für mich sehr nützlich sein. Ihre natürlich auch, Mademoiselle – Sie sind jung und in der Psychologie auf dem neuesten Stand. Sehen Sie, ich möchte alles wissen, was Sie mir über Mrs Boynton erzählen können.»
«Wissen Sie das nicht längst in- und auswendig?», fragte Sarah.
«Nein. Ich habe das Gefühl – mehr als nur das Gefühl –, die Überzeugung, dass die psychische Ausstattung von Mrs Boynton in diesem Fall sehr wichtig ist. Menschen wie sie sind Dr. Gérard zweifellos vertraut.»
«Aus meiner Sicht war sie in der Tat ein interessantes Studienobjekt», sagte der Arzt.
«Erzählen Sie mir mehr.»
Dr. Gérard war durchaus nicht abgeneigt. Er schilderte sein eigenes Interesse an der Familie Boynton, seine Unterhaltung mit Jefferson Cope und dass dieser die Situation völlig falsch einschätzte.
«Er reagiert also gefühlsmäßig», sagte Poirot.
«Oh, unbedingt! Er hat Ideale – die im Grunde auf einer tiefen instinktiven Trägheit basieren. Von allen Menschen immer nur das Beste annehmen und die Welt als einen angenehmen Ort betrachten – das ist zweifellos der leichteste Weg im Leben! Jefferson Cope hat folglich überhaupt keine Vorstellung davon, wie die Menschen wirklich sind.»
«Das kann manchmal gefährlich sein», sagte Poirot.
Dr. Gérard fuhr fort: «Er beharrte darauf, das, was ich ‹das Boynton’sche Problem› nennen möchte, als einen Fall von fehlgeleiteter Fürsorge zu betrachten. Von dem unterschwelligen Hass, der Auflehnung, der Unterdrückung und dem seelischen Schmerz hatte er so gut wie keine Ahnung.»
«Das ist stupid, so etwas», bemerkte Poirot.
«Gleichviel», fuhr Dr. Gérard fort, «selbst der absichtlich begriffsstutzigste sentimentale Optimist kann nicht vollkommen blind sein. Ich glaube, dass Mr Jefferson Cope auf der Reise nach Petra die Augen geöffnet wurden.»
Und er schilderte die Unterhaltung, die er am Morgen des Tages, an dem Mrs Boynton starb, mit dem Amerikaner gehabt hatte.
«Eine interessante Geschichte, diese Sache mit dem Dienstmädchen», sagte Poirot nachdenklich. «Sie wirft Licht auf die Methoden der alten Frau.»
Gérard sagte: «Das war überhaupt ein sehr denkwürdiger Morgen! Sie waren noch nie in Petra, Monsieur Poirot. Wenn Sie hinfahren, müssen Sie unbedingt zur Opferstätte hinaufsteigen. Sie hat eine – wie soll ich sagen – eine besondere Atmosphäre!» Er beschrieb detailliert, was sie dort erlebt hatten, und fügte ergänzend hinzu: «Mademoiselle saß wie eine junge Richterin dort oben und sprach davon, einen zu opfern, um viele zu retten. Erinnern Sie sich, Miss King?»
Sarah erschauerte. «Hören Sie bloß auf! Ich will nichts mehr von dem Tag hören.»
«Gewiss, gewiss», sagte Poirot. «Sprechen wir lieber über Ereignisse, die weiter zurückliegen. Mich, Dr. Gérard, interessiert Ihre Beschreibung der Mentalität von Mrs Boynton. Sehen Sie, ich verstehe nicht recht, warum diese Frau, die ihre Familie vollkommen unterjocht hat, warum sie diese Auslandsreise unternimmt, wo die Gefahr besteht, dass es zu Kontakten mit Außenstehenden kommt und dass ihre Autorität geschwächt wird.»
Dr. Gérard beugte
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