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Der Tod wartet

Der Tod wartet

Titel: Der Tod wartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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hergekommen, um mich zu beschützen?», hauchte Ginevra Boynton.
    Poirot strich sich nachdenklich über den Schnurrbart. Dann sagte er:
    «Sind Sie denn in Gefahr, Mademoiselle?»
    «Ja! Aber ja!» Sie blickte sich rasch und argwöhnisch um. «Ich habe es Dr. Gérard schon in Jerusalem gesagt. Er war sehr geschickt. Er ließ sich nichts anmerken. Aber er folgte mir – an diesen schrecklichen Ort mit den roten Felsen.» Sie erschauerte. «Sie wollten mich dort töten. Ich muss ständig auf der Hut sein.»
    Poirot nickte freundlich und nachsichtig.
    Ginevra Boynton sagte: «Er ist sehr nett – und gütig. Er ist in mich verliebt!»
    «Ja?»
    «O ja! Er sagt im Schlaf meinen Namen…» Ihre Stimme wurde weich, und auf ihrem Gesicht lag wieder dieser Ausdruck bebender, überirdischer Schönheit. «Ich sah ihn – wie er dort lag, sich hin und her warf – und meinen Namen sagte… Ich bin leise wieder weggeschlichen.» Sie hielt inne. «Ich dachte, dass vielleicht er nach Ihnen geschickt hat? Ich habe nämlich furchtbar viele Feinde. Sie sind überall. Manchmal sind sie sogar verkleidet. »
    «Ja, ja», sagte Poirot freundlich. «Aber hier sind Sie sicher – Ihre ganze Familie ist bei Ihnen.»
    Sie richtete sich stolz auf.
    «Das ist nicht meine Familie! Ich habe mit diesen Leuten nichts zu schaffen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer ich wirklich bin – das ist ein großes Geheimnis. Aber Sie würden staunen, wenn Sie es wüssten.»
    Poirot sagte sanft: «War der Tod Ihrer Mutter ein großer Schock für Sie, Mademoiselle?»
    Ginevra stampfte mit dem Fuß auf. «Ich habe es Ihnen doch gesagt – sie war nicht meine Mutter! Meine Feinde haben sie bezahlt, damit sie so tat und aufpasste, dass ich nicht davonlief!»
    «Wo waren Sie an dem Nachmittag, als sie starb?»
    «Ich war im Zelt… Es war dort sehr heiß, aber ich wagte nicht, es zu verlassen… Sonst hätten sie mich vielleicht erwischt…» Ein Schauer überlief sie. «Einer von ihnen – hat in mein Zelt geschaut. Er war verkleidet, aber ich erkannte ihn. Ich stellte mich schlafend. Der Scheich hatte ihn geschickt. Der Scheich wollte mich natürlich entführen lassen.»
    Poirot schwieg eine Weile, während sie weitergingen, und sagte dann: «Sie sind sehr hübsch, diese Geschichten, die Sie sich erzählen.»
    Ginevra Boynton blieb stehen. Sie funkelte Poirot an. «Sie sind wahr. Sie sind alle wahr! » Wieder stampfte sie zornig mit dem Fuß auf.
    «Ja», sagte Poirot, «sie sind zweifellos gut erfunden.»
    «Aber sie sind wahr – wahr! » , rief sie aus.
    Dann machte sie wütend kehrt und rannte den Hügel hinunter. Poirot sah ihr nach. Nach ein bis zwei Minuten hörte er dicht hinter sich eine Stimme fragen:
    «Was haben Sie zu ihr gesagt?»
    Poirot drehte sich zu Dr. Gérard um, der leicht außer Atem stehen geblieben war. Weiter hinten kam Sarah, aber in gemächlicherem Tempo.
    Poirot beantwortete Gérards Frage: «Ich sagte zu ihr, dass sie sich ein paar hübsche Geschichten ausgedacht hat.»
    Der Arzt nickte nachdenklich. «Und darüber war sie wütend? Das ist ein gutes Zeichen. Denn das beweist, dass sie noch nicht ganz über die Schwelle getreten ist. Sie weiß noch, dass es nicht die Wahrheit ist! Ich werde sie heilen.»
    «Ah, Sie denken an eine Behandlung?»
    «Ja. Ich habe die Sache mit der jungen Mrs Boynton und ihrem Mann besprochen. Ginevra wird nach Paris kommen und sich in eine meiner Kliniken begeben. Danach wird sie sich für die Bühne ausbilden lassen.»
    «Die Bühne?»
    «Ja, als Schauspielerin könnte sie großen Erfolg haben. Und das ist genau das, was sie braucht – was sie haben muss! Sie besitzt viele wesentliche Charakterzüge ihrer Mutter.»
    «Nein!», rief Sarah entsetzt.
    «Ihnen erscheint das unmöglich, aber bestimmte grundlegende Wesensmerkmale sind die gleichen. Beide besitzen von Natur aus ein starkes Geltungsbedürfnis; beide wollen mit ihrer Persönlichkeit beeindrucken! Das arme Kind wurde auf Schritt und Tritt eingeengt und unterdrückt; man gab ihr keine Möglichkeit, ihren ehrgeizigen Ambitionen nachzugehen, ihre Lebensfreude zu zeigen, ihre lebhafte schwärmerische Persönlichkeit auszudrücken.» Er lachte auf. « Nous allons changer tout ca! »
    Dann machte er eine kleine Verbeugung und sagte: «Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden?», und eilte dem jungen Mädchen den Hügel hinunter nach.
    Sarah sagte: «Dr. Gérard ist mit Leib und Seele Arzt.»
    «Das habe ich bemerkt», sagte Poirot.
    «Trotzdem», sagte

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