Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
antwortete der Mann. „Und wer zum Teufel sind Sie?“
O’Neill war gerade erst zum Leiter der Abteilung Terrorismusbekämpfung des FBI ernannt worden. Er kam vom Chicagoer Büro der Bundespolizei. Nachdem er die ganze Nacht durchgefahren war, hatte er sich an diesem Sonntagmorgen direkt in die Zentrale begeben, ohne sein Gepäck abzuladen. Abgesehen von einigen Wachleuten saß O’Neill nun allein im wuchtigen J. Edgar Hoover Gebäude, dabei sollte er erst am folgenden Dienstag seine Arbeit aufnehmen. Clarke teilte ihm mit, dass Ramsi Jussef, der vom FBI meistgesuchte Terrorist, gut 14 000 Kilometer entfernt entdeckt worden sei. Nun war es O’Neills Aufgabe, ein Team zusammenzustellen, das den Beschuldigten nach New York bringen sollte, wo er wegen des Anschlags auf das World Trade Center von 1993 und der Vorbereitung eines Bombenanschlags auf US-amerikanische Fluglinien angeklagt worden war.
O’Neill ging den leeren Korridor hinab und öffnete das Strategic Information and Operations Center (SIOC). Dieser fensterlose Raum dient für abgeschirmte Videokonferenzen mit dem Weißen Haus, dem Außenministerium und anderen Abteilungen des FBI. Er ist das Nervenzentrum der Bundespolizei und wird nur in Notfällen benutzt. O’Neill führte erste Telefonate. In den folgenden drei Tagen sollte er die FBI-Zentrale nicht mehr verlassen.
Eine „Überstellung“- die bürokratische Bezeichnung für die legale Entführung von Verdächtigen in einem fremden Land - ist eine komplizierte und zeitaufwändige Aktion und wird gewöhnlich Monate im Voraus geplant. O’Neill brauchte ein Flugzeug, um den Beschuldigten nach Amerika auszufliegen. Weil auf Jussefs Kopf eine Belohnung von zwei Millionen Dollar ausgesetzt worden war, hatte es eine Fülle falscher Hinweise auf den Aufenthaltsort des Mannes gegeben, sodass sich O’Neill zunächst vergewissern musste, dass es sich tatsächlich um den Gesuchten handelte. Er musste einen Experten für Fingerabdrücke heranziehen, der feststellen sollte, ob der Verdächtige wirklich Ramsi Jussef war. Er brauchte einen Arzt, der Jussef betreuen konnte, falls dieser verletzt war oder aus irgendeinem Grund medizinische Behandlung benötigte. Er musste sich mit dem Außenministerium in Verbindung setzen, damit dieses bei der pakistanischen Regierung die Erlaubnis für eine sofortige „Überstellung“besorgte. Unter normalen Umständen würde das betreffende Land gebeten werden, den Beschuldigten zu inhaftieren, bis die Unterlagen für das Auslieferungsersuchen zusammengestellt waren und das FBI den Mann in Gewahrsam nehmen konnte. Dafür war jetzt keine Zeit. Jussef wollte in ein paar Stunden in einen Bus nach Peschawar steigen. Wenn er nicht schnell dingfest gemacht wurde, würde er bald über den Khyber-Pass nach Afghanistan verschwunden und damit nicht mehr greifbar sein.
Allmählich füllte sich der Raum mit Agenten in legerer Freizeitkleidung oder im Sonntagsstaat. Eine Abordnung aus dem New Yorker Büro wurde eingeflogen; sie sollte die Verhaftung vornehmen, wenn Jussef festgesetzt wurde, denn er war in ihrem Bezirk angeklagt worden.
Für viele Anwesende war O’Neill ein unbekanntes Gesicht, und es fiel ihnen gewiss nicht leicht, von einem Mann Anweisungen entgegenzunehmen, den sie noch nie zuvor gesehen hatten. Aber die meisten hatten schon von ihm gehört. In einer Organisation, in der Diskretion und Anonymität groß geschrieben werden, ragte O’Neill deutlich heraus. Er war ein stattlicher Mann mit zurückgekämmten dunklen Haaren, blitzenden schwarzen Augen und einem großen runden Unterkiefer und sprach mit einem breiten New-Jersey-Akzent, den viele gern nachmachten. O’Neill war noch unter J. Edgar Hoover in die Bundespolizei eingetreten und hatte sich in seiner Karriere stets etwas von einem „G-Man“, einem FBI-Mann der alten Schule, bewahrt. Er trug einen dicken Ring am kleinen Finger und schnallte sich eine 9 mm Automatikpistole um den Knöchel. Er trank gern Chivas Regal mit Wasser und rauchte dazu eine gute Zigarre. Er hatte ein raubeiniges, respektloses Auftreten, aber seine Fingernägel waren sehr gepflegt und er war stets einwandfrei, ja fast übertrieben sorgfältig gekleidet: schwarze Zweireiher, halbtransparente schwarze Socken und glänzende Lackhalbschuhe, die so geschmeidig waren wie Ballettschläppchen - „eine Nachtklub-Garderobe“, wie es einmal einer seiner Kollegen nannte. 2
O’Neill hatte schon als Junge den Wunsch verspürt, beim FBI zu
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