Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007

Titel: Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Wright
Vom Netzwerk:
wurden als Bettler und Weichlinge gebrandmarkt 20 und sahen sich häufig den Nachstellungen von Männern ausgesetzt, die keinen Umgang mit Frauen hatten. Angeregt durch ihre Studien, die streng konzentriert waren auf den Koran und die Scharia sowie die Lobpreisung des Dschihad, erträumten die Taliban eine vollkommene islamische Gesellschaft, während um sie herum Rechtlosigkeit und Barbarei herrschten. Sie lebten im Schatten ihrer Väter und ihrer älteren Brüder, die die mächtige Supermacht bezwungen hatten, und waren bestrebt, selbst ebenfalls Ruhm zu erlangen. Wenn die Taliban-Truppen Verstärkung benötigten, schlossen die Madrassen einfach ganze Klassen, und die Schüler zogen in den Krieg mit einem Lob Gottes auf den Lippen, während sie von Bussen über die Grenze gebracht wurden. Sechs Monate nach der Kapitulation Kandahars umfassten die Streitkräfte der Taliban 12 000 Kämpfer, ein weiteres halbes Jahr später waren es schon doppelt so viele. 21
    Die dritte Quelle der Taliban war das Opium. Nach der Einnahme Kandahars kontrollierten die Taliban die Provinz Helmand, das Zentrum der Opiumherstellung. Unter ihnen wurde Afghanistan zum größten Mohnproduzenten der Welt. Die Schmuggler und Drogenbarone brauchten die Taliban, um die Straßen frei von Banditen zu halten; dafür zahlten sie ihnen eine Steuer von zehn Prozent, die zu einer der wichtigsten Einnahmequellen der Koranschüler wurde. 22
    In Kandahar gibt es einen Schrein, in dem angeblich der Umhang des Propheten Mohammed aufbewahrt wird. Diese Reliquie wird nur in besonders schlimmen Zeiten aus ihrer silbernen Kiste genommen - das letzte Mal beim Ausbruch einer Cholera-Epidemie vor 70 Jahren. Am 4. April 1996 brachte Mullah Omar den Umhang des Propheten in eine Moschee im Stadtzentrum. Nachdem er im Rundfunk bekannt gegeben hatte, dass er den Umhang öffentlich zur Schau stellen werde, stieg er auf das Dach der Moschee und stolzierte dort eine halbe Stunde lang umher mit den Händen in den Ärmeln des Umhangs, während eine rasende Menschenmenge seinen Auftritt als Amir-ul-Mominin, als Führer der Gläubigen, begeistert bejubelte. Einige Zuschauer wurden ohnmächtig; andere warfen ihre Hüte oder Turbane in die Luft in der Hoffnung, diese würden das geheiligte Kleidungsstück streifen.
    Natürlich träumten die Islamisten allerorten davon, dass ihre Religion eines Tages wieder unter der Herrschaft eines einzigen rechtmäßigen Führers vereint sein würde. Könige und Sultane hatten diese Rolle angestrebt, aber keiner hatte sich in den Mantel des Propheten gehüllt so wie dieser unbekannte Mullah. Es war eine ebenso anmaßende wie elektrisierende Geste. Omar wuchs dadurch die politische Autorität zu, die er brauchte, um den Krieg fortzusetzen; darüber hinaus aber signalisierte diese Aktion, dass die Taliban als moralische Kraft Afghanistan überrollen und dann in der gesamten islamischen Welt eine führende Rolle beanspruchen würden.
     
    BIN LADENS FAMILIEN und einige seiner Anhänger trafen nun in Dschalalabad ein: Auf einer von Stacheldraht umzäunten Fläche wurden Zelte, Latrinen und Sickergruben für die Frauen errichtet. 23 Als der Winter kam, brachte Bin Laden die Familien auf einer ehemaligen sowjetischen Kolchose unter, 24 die er Najm al-Dschihad (Stern des heiligen Krieges) taufte. 25 Die Männer richteten sich in den nahegelegenen Höhlen ein, die Bin Laden in den Fels von Tora Bora hatte graben lassen und in denen damals die Munition gelagert worden war,. 26 Er staffierte die Haupthöhle mit einem Arsenal von Kalaschnikows aus, einer theologischen Bibliothek, einem Archiv mit Zeitungsausschnitten und einigen Matratzen, die auf Kisten mit Handgranaten gelegt wurden.
    Bin Laden begann sich wieder geschäftlich zu betätigen und baute einen kleinen Honighandel auf 27 , aber in Afghanistan gab es praktisch keine wirtschaftliche Infrastruktur, sodass er nicht viel unternehmen konnte. Die drei Frauen, die bei ihm lebten, waren Entbehrungen gewöhnt, die Bin Laden natürlich gerne auf sich nahm. Er schlachtete nun nicht mehr täglich ein Lamm für seine Gäste; er aß nur noch selten Fleisch und bevorzugte Datteln, Milch, Joghurt und Fladenbrot. Strom gab es nur drei Stunden am Tag 28 , und da man nicht ins Ausland telefonieren konnte 29 , waren seine Frauen völlig abgeschnitten von ihren Familien in Syrien und Saudi-Arabien. Bin Laden verfügte über ein Satellitentelefon, das er aber nur selten benutzte, weil er glaubte, dass die

Weitere Kostenlose Bücher