Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
schrieb Bin Laden in seiner „Kriegserklärung gegen die Amerikaner, die das Land der zwei heiligen Stätten besetzt halten“vom 23. August 1996. 42 Die jüngste Schmach - „eine der schlimmsten Katastrophen, die den Muslimen seit dem Tode des Propheten widerfahren ist“- sei die Anwesenheit amerikanischer Soldaten und der Koalitionstruppen in Saudi-Arabien. Der Zweck dieses Textes bestehe darin, „darüber zu sprechen und darauf hin zu arbeiten, jene Schmach zu tilgen, die der islamischen Welt im Allgemeinen und dem Land der zwei heiligen Moscheen im Besonderen widerfahren ist.“
„Alle beklagen sich über alles“, bemerkte Bin Laden und griff damit die Stimmung des Muslims von der Straße auf. „Die Menschen beschäftigen sich sehr mit Fragen ihrer Lebenshaltung. Allgemein wird über den wirtschaftlichen Niedergang gesprochen, über die hohen Preise, die starke Verschuldung und die überfüllten Gefängnisse.“Hinsichtlich Saudi-Arabiens herrsche Übereinstimmung darüber, „dass das Land einem tiefen Abgrund entgegentaumelt“. Jene tapferen Saudis, die vom Regime einen Wandel forderten, würden nicht gehört werden; mittlerweile hätten die Kriegsschulden das Land dazu gezwungen, Steuern zu erheben. „Die Menschen fragen sich: Sind wir wirklich das größte Öl exportierende Land? Sie haben das Gefühl, dass Gott ihnen Qualen auferlegt, weil sie über die Ungerechtigkeiten des herrschenden Regimes geschwiegen haben.“
Dann wandte er sich an den amerikanischen Verteidigungsminister William Perry. „Oh William, morgen wirst du erkennen, welcher junge Mann deine fehlgeleiteten Brüder konfrontiert... Euch zu terrorisieren, während ihr in unserem Land Waffen tragt, ist legitim und unsere moralische Pflicht.“
Bin Laden war himmelweit davon entfernt, derartige Drohungen wahr zu machen, sodass man den Verfasser dieses Dokuments durchaus als verrückt hätte betrachten können. Und tatsächlich lebte der Mann in der Höhle in einer anderen Wirklichkeit, in einer Welt, die eng verbunden war mit den mythischen Elementen des muslimischen Selbstverständnisses und die jene in ihren Bann zog, deren Kultur bedroht zu sein schien durch die Moderne, die Unreinheit und den Verlust der Tradition. Indem er aus einer Höhle in Afghanistan den Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg erklärte, begab sich Bin Laden in die Rolle des unverdorbenen, unbezwingbaren und authentischen Kämpfers, der gegen die Ehrfurcht einflößende Macht des säkularen, wissenschaftlichen und technologischen Goliath aufbegehrte; er kämpfte gegen die Moderne an sich.
Es war unerheblich, dass Bin Laden, der Baumagnat, die Höhle unter Einsatz schweren Geräts ausgebaut und sie mit Computern und modernsten Kommunikationsgeräten ausgestattet hatte. Die Attitüde des Ursprünglichen, des Primitiven entfaltete ihre Anziehungskraft, insbesondere bei Menschen, die zu den Verlierern und Benachteiligten der Moderne gehörten; doch der Mann, der eine solche Symbolhaftigkeit so gut zu nutzen verstand, war selbst gebildet und höchst modern.
KURZ NACHDEM Bin Laden sein Lager in Tora Bora eingerichtet hatte, empfing er einen Besucher namens Chaled Scheich Mohammed. Er hatte Mohammed schon während des Krieges gegen die Sowjetunion flüchtig kennen gelernt, als dieser als Sekretär für Bin Ladens alten Förderer Sajaf arbeitete 43 und später auch für Abdullah Assam. Wichtiger war jedoch, dass Chaled Scheich Mohammed auch der Onkel von Ramsi Jussef war, der 1993 den Anschlag auf das World Trade Center ausgeführt hatte. Jetzt war Jussef in Haft und sein Onkel auf der Flucht.
Abgesehen von ihrem Hass auf Amerika hatten Chaled Scheich Mohammed und Bin Laden nicht viele Gemeinsamkeiten. Mohammed war ein kleiner, gedrungener Mann; er war fromm, besaß aber wenig religiöse Bildung 44 ; er war ein Schauspieler und Aufschneider, ein Trinker und ein Frauenheld. Während Bin Laden von eher provinziellem Naturell war und das Reisen hasste, insbesondere in westliche Länder, war Mohammed ein Globetrotter und sprach fließend mehrere Sprachen, auch Englisch, das er während seines Maschinenbaustudiums an der North Carolina Agricultural and Technical State University perfektioniert hatte, einer überwiegend von Schwarzen besuchten Bildungsstätte in Greensboro.
In Tora Bora berichtete Scheich Mohammed Bin Laden von seinen Unternehmungen seit dem Dschihad gegen die Sowjets. Angeregt durch Ramsi Jussefs Anschlag auf das World Trade Center, hatte
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