Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
bei der Beerdigung der Toten zu helfen. Eine der Leichen war derart zerfetzt, dass sie nicht identifiziert werden konnte. „Könnt ihr wenigstens seine Füße finden?“, fragte Abdul Rahman. 35 Jemand entdeckte einen Fuß, und anhand eines Geburtsmals an einem Zeh konnte Abdul Rahman einen Freund identifizieren, der wie er selbst kanadischer Staatsbürger ägyptischer Herkunft gewesen war.
Es waren vier weitere Männer getötet worden, die sie bestatteten, während Aufklärungsflugzeuge über das Lager flogen, um die Schäden festzustellen.
IN DER GROSSSPURIGEN Ausdrucksweise amerikanischer Militärplaner waren die fehlgeschlagenen Luftangriffe als Operation „Infinite Reach“bezeichnet worden. Gedacht war an eine chirurgische und angemessene Antwort auf die Terrorakte - zwei Bombenanschläge, zwei entschiedene Reaktionen. Doch die Luftschläge offenbarten die Mängel der amerikanischen Geheimdienste und die Wirkungslosigkeit ihrer Militärmacht, die Waffentechnik im Wert von beinahe einer Dreiviertelmilliarde Dollar auf zwei der ärmsten Länder der Welt herabregnen ließ.
Nach Angabe von General Hamid Gul, dem früheren Leiter des ISI, stürzten mehr als die Hälfte der Marschflugkörper über pakistanischem Territorium ab und töteten dort zwei Menschen. Obwohl Abdul Rahman Chadr in dem Lager von al-Qaida nur fünf Männer beerdigte, zu dem noch jener kam, der in seinen Armen gestorben war, wurden zahlreiche falsche Behauptungen aufgestellt. Sandy Berger, Clintons nationaler Sicherheitsberater, sprach von „20 oder 30 toten Mitgliedern von al-Qaida“. Die Taliban klagten später, es seien auch 22 Afghanen getötet und über 50 schwer verletzt worden. 36 Doch Bin Ladens Leibwächter beurteilte die Schäden und teilte Abdul Rahmans Einschätzung: „Jedes Haus wurde von einem Geschoss getroffen, aber sie zerstörten das Lager nicht vollkommen. Sie trafen die Küche, die Moschee und einige Waschräume. Sechs Männer wurden getötet: ein Saudi, ein Ägypter, ein Usbeke und drei Jemeniten.“ 37
Doch die Angriffe hatten andere gravierende Konsequenzen. Mehrere Tomahawk-Raketen explodierten nicht. Nach russischen Geheimdienstinformationen verkaufte Bin Laden die unversehrten Marschflugkörper für über zehn Millionen Dollar an China. 38 Pakistan verwendete möglicherweise einige der auf seinem Territorium abgestürzten Geschosse, um seine eigene Version einer Cruise Missile zu bauen.
Doch das bedeutsamste Vermächtnis der Operation „Infinite Reach“war, dass sie Bin Laden zu einer Symbolfigur des Widerstands machte, und zwar nicht nur in der islamischen Welt, sondern überall dort, wo die Vereinigten Staaten mit ihrer lärmenden narzisstischen Kultur und der majestätischen Präsenz ihrer Streitkräfte nicht willkommen waren. Als Bin Ladens aufgeregte Stimme in einer stark rauschenden Funksendung zu hören war - „Dank des gnädigen Gottes lebe ich!“-, hatten die antiamerikanischen Kräfte ihren neuen Helden gefunden. Jene Muslime, die das Abschlachten Unschuldiger in den amerikanischen Botschaften in Ostafrika abgelehnt hatten, wurden nun von einer Welle der Unterstützung zum Schweigen gebracht, die jenem Mann entgegenschlug, der Amerika herausgefordert hatte und göttlichen Schutz zu genießen schien. Sogar in Kenia und Tansania, den beiden Ländern, die am meisten unter al-Qaidas Attacken gelitten hatten, waren Kinder zu sehen, die in T-Shirts mit Bin Ladens Konterfei umherliefen.
Am Tag nach den Luftschlägen rief Sawahiri Jussufsai erneut an. „Wir haben den Angriff überlebt“, erklärte er. „Sagen Sie den Amerikanern, dass wir uns nicht vor Bombardements, Drohungen und Akten der Aggression fürchten. Wir haben in Afghanistan zehn Jahre lang sowjetische Bombenangriffe ertragen, und wir sind zu weiteren Opfern bereit. Der Krieg hat gerade erst begonnen. Die Amerikaner können nun auf unsere Antwort warten.“
17 DAS NEUE JAHRTAUSEND
Zwei Tage nach den amerikanischen Luftangriffen führte Mullah Omar ein geheimes Telefonat mit dem amerikanischen Außenministerium. 1 Er wollte den Amerikanern einen guten Rat geben: Die Angriffe würden lediglich die antiamerikanische Stimmung in der islamischen Welt anheizen und weitere Terroranschläge provozieren, erklärte er. Die beste Lösung bestehe darin, dass Clinton zurücktrete.
Michael E. Malinowski, der Vertreter des Außenministeriums, der den Anruf entgegennahm, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er wies seinen Gesprächspartner darauf
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