Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
erläuterte Dan Coleman gerade eine von den Geheimdiensten bereitgestellte Information, als O’Neill hereinplatzte. „Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden“, sagte er ausgerechnet zu dem Mann, der Bin Laden und seine Organisation eingehender studiert hatte als jeder andere in den Vereinigten Staaten, wenn man einmal von Mike Scheuer absah.
„Schön“, sagte Coleman.
„War nur ein Scherz.“
„Wissen Sie was? Ich bin hier nur der Trottel vom Dienst“, erwiderte Coleman gereizt. „Sie sind der Oberkommandierende. Ich kann mich in einer Position wie dieser nicht verteidigen.“
Am folgenden Tag schaute O’Neill in Colemans Büro vorbei und bat ihn um Entschuldigung. „Ich hätte das nicht sagen sollen.“
Coleman akzeptierte die Entschuldigung, nutzte jedoch die Gelegenheit, um O’Neill einen Vortrag über die Verantwortung eines Vorgesetzten zu halten. O’Neill hörte sich die Rüge an und bemerkte dann: „Sie sehen aus, als würden Sie sich mit einer Handgranate frisieren.“
„Vielleicht sollte ich ein wenig von dem Öl verwenden, das Sie sich über den Kopf schütten“, erwiderte Coleman.
O’Neill lachte und ging seines Weges.
Coleman begann, O’Neill zu studieren. Er gelangte zu dem Schluss, entscheidend für das Verständnis seines Vorgesetzten sei, dass dieser „aus dem Nichts gekommen war“. O’Neills Mutter fuhr immer noch den ganzen Tag ein Taxi in Atlantic City, sein Vater setzte sich nachts ans Steuer. O’Neills Onkel, ein Pianist, hatte die Familie unterstützt, als die Glückspielindustrie in der Stadt zugrunde gegangen war. O’Neill hatte sein Elternhaus bei der ersten Gelegenheit verlassen, die sich ihm geboten hatte. In seinem ersten Job als Touristenführer in der FBI-Zentrale war er jeden Morgen mit einer Aktentasche zur Arbeit erschienen - als ob er eine brauchen würde. Und er hatte von Anfang an versucht, die übrigen Führer unter seine Kontrolle zu bekommen. Diese hatten ihm den abfälligen Beinamen „Stinky“gegeben, weil er unentwegt schwitzte.
Coleman sah die Kluft, die zwischen dem öffentlichen O’Neill und der Privatperson klaffte. Die schicken Anzüge und die schimmernden Fingernägel waren die Tarnung eines Mannes von einfacher Herkunft und bescheidenen finanziellen Mitteln. Mit seinem Beamtengehalt konnte sich O’Neill diese Fassade nur mit Mühe leisten. Er mochte manchmal streitlustig sein und seine Mitarbeiter herabsetzen, aber er war auch ein ängstlicher und unsicherer Mann, der unentwegt nach Bestätigung suchte und einen hohen Schuldenberg mit sich herumschleppte. Kaum jemand wusste, wie unsicher seine berufliche Situation, wie instabil sein Privatleben und wie unausgeglichen seine Psyche war. Einmal wurde ein Mitarbeiter in einer Sitzung derart wütend auf ihn, dass er begann, O’Neill zu beschimpfen. Dieser verließ den Raum und beruhigte sich, indem er von seinem Mobiltelefon aus mehrere Gespräche führte. „Das können Sie nicht tun“, sagte Coleman zu seinem Kollegen. „Sagen Sie ihm, dass es Ihnen leid tut, dass sie nicht respektlos ihm gegenüber sein wollten.“O’Neills emotionale Abhängigkeit von der Anerkennung war so groß wie die jedes Gangsters.
Aber er war auch zu ausgefallenen und beinahe alarmierenden Gesten der Fürsorge fähig. Er sammelte in aller Stille Geld für die Opfer der von ihm untersuchten Bombenanschläge und sorgte persönlich dafür, dass kranke Mitarbeiter von den besten Ärzten betreut wurden. 28 Einer von O’Neills Freunden in Washington musste sich während eines Blizzards einer Herzoperation unterziehen. Der Verkehr in der Stadt brach zusammen, doch als der Mann aus der Narkose erwachte, saß O’Neill an seinem Bett. 29 Er hatte sich zu Fuß durch den Schnee gekämpft, der einen halben Meter hoch lag. Er bestand darauf, seiner Sekretärin jeden Morgen aus einem Laden einen Kaffee und Gebäck mitzubringen, und er vergaß keinen Geburtstag. All diese großen und kleinen Gesten verrieten seine eigene Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Fürsorge.
ZEHN TAGE nach den Bombenanschlägen auf die beiden Botschaften erhielt Jack Cloonan einen Anruf von einem seiner Geheimdienstkontakte im Sudan, der ihm mitteilte, dass sich zwei an den Anschlägen beteiligte Männer in Khartoum aufhielten. Sie hatten eine Wohnung mit Blick auf die amerikanische Botschaft gemietet. Cloonan gab die Information an O’Neill weiter, der am folgenden Tag Richard A. Clarke vom Nationalen Sicherheit anrief. „Ich möchte mit
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