Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
jemenitische Tageszeitung. Soufan zeigte sie Abu Dschandal. Die Schlagzeile lautete: „200 jemenitische Bürger kommen bei dem Angriff auf New York um.“
Abu Dschandal las die Schlagzeile und atmete tief durch. „Möge uns Gott helfen“, murmelte er.
Soufan fragte, was für ein Muslim so etwas tun würde. Abu Dschandal beharrte darauf, dass nicht Bin Laden, sondern die Israelis die Angriffe auf New York und Washington verübt haben müssten. „Der Scheich ist nicht so verrückt“, sagte er.
Soufan legte einen Band mit Polizeifotos bekannter Mitglieder von al-Qaida sowie mehrere Bilder von den Flugzeugentführern auf den Tisch. Er bat Abu Dschandal, sie zu identifizieren. Der Jemenit überflog die Fotos rasch und schloss das Buch.
Soufan schlug es erneut auf und sagte ihm, er solle sich Zeit nehmen. „Einige von ihnen haben wir in Gewahrsam“, sagte er, in der Hoffnung, Abu Dschandal würde nicht daran denken, dass die Attentäter allesamt tot sein mussten.
Beim Foto von Marwan al-Schehhi hielt Abu Dschandal den Bruchteil einer Sekunde inne, bevor er weiterblätterte. „Mit dem hier sind Sie noch nicht fertig“, bemerkte Soufan. „Ramadan 1999. Er ist krank. Sie sind sein Emir und sorgen für ihn.“
Abu Dschandal sah Soufan überrascht an.
„Wenn ich Ihnen eine Frage stelle, kenne ich bereits die Antwort“, sagte Soufan. „Wenn Sie klug sind, sagen Sie mir die Wahrheit.“
Abu Dschandal gab zu, Schehhi zu kennen, und nannte dessen Namen bei al-Qaida: Abdullah al-Scharqi. Dann identifizierte er Mohammed Atta, Chaled al-Mihdhar und vier weitere Attentäter. Aber er bestand weiterhin darauf, dass Bin Laden niemals so etwas tun würde. Die Israelis seien schuld, sagte er.
„Ich weiß sicher, dass die Leute, die das getan haben, al-Qaida angehören“, sagte Soufan. Er nahm die sieben Fotos aus dem Buch und legte sie auf den Tisch.
„Woher wissen Sie das?“, fragte Abu Dschandal. „Wer hat Ihnen das gesagt?“
„Sie selbst“, sagte Soufan. „Diese Männer hier haben die Flugzeuge entführt. Sie haben sie gerade identifiziert.“
Abu Dschandal erblasste. Er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. „Geben Sie mir einen Moment Zeit“, bat er.
Soufan ging aus dem Raum. Als er zurückkehrte, fragte er Abu Dschandal, was er jetzt denke.
„Ich denke, dass der Scheich verrückt geworden ist“, sagte er. Und dann erzählte er Soufan alles, was er wusste.
MAN HATTE Mark Rossini gesagt, John O’Neill sei in Sicherheit. So hatte er einen Großteil des 11. September und des folgenden Tages damit verbracht, O’Neills Freunde in aller Welt anzurufen, um ihnen mitzuteilen, dass John wohlauf sei. Nun musste er sie erneut anrufen, einen nach dem anderen. Er war wütend auf O’Neill. „Blöder Bastard! Warum ist er nicht weggelaufen?“Wochenlang blieb er abends bei der Heimkehr in seinem Auto sitzen und weinte, bevor er ins Haus ging. Einige der Agenten erlitten Nervenzusammenbrüche. Andere, darunter Dan Coleman, hatten bleibende Lungenschäden erlitten, weil sie an jenem Tag den Staub eingeatmet hatten.
Das World Trade Center brannte hundert Tage lang. Während der gesamten Zeit drang der beißende Gestank in das Büro des FBI. Dies war eine quälende Erinnerung daran, dass es den Nachrichtendiensten nicht gelungen war, den Angriff zu verhindern. Und es hielt ihnen vor Augen, wie knapp sie selbst dem Tod entronnen waren. Ein aktiver Agent, der Bombenexperte Leonard Hatton, hatte nicht überlebt. Er hatte mit O’Neill an der Untersuchung der Anschläge auf die ostafrikanischen Botschaften und die Cole gearbeitet, und er hatte versucht, Opfer aus den Türmen zu retten. In den hektischen, scheinbar endlosen Monaten, die auf den 11. September folgten, versuchten die Mitglieder der Antiterroreinheit I-49, ihren Schock, ihre Trauer und ihre Scham zu überwinden. Besser als irgendjemand anderer hatten sie gewusst, in welcher Gefahr sich die Vereinigten Staaten befanden. Und dennoch war die I-49 in ihren Bemühungen weitgehend allein gelassen worden. Seit den Anschlägen auf die Botschaften in Ostafrika hatten die Agenten unermüdlich gearbeitet und Monate und teilweise sogar Jahre im Ausland verbracht. Die Untersuchungen hatten einen hohen Preis gefordert: Die Ehen und Partnerschaften vieler Agenten hatten dem nicht standgehalten. Sie waren schon vor dem 11. September erschöpft. Nun wurde das Trauma durch das Stigma vertieft, das ihnen angeheftet wurde, weil sie die Tragödie, die sie hatten
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