Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
gab auch die Wiedergutmachung: Nichts hatte O’Neill mehr bedauert als sein Versagen als Vater. Im Mai hatte er eine weitere Chance erhalten: Sein erstes Enkelkind war zur Welt gekommen. Ironischerweise fiel es O’Neill, der sich so fürsorglich um Valeries Enkelkind gekümmert hatte, offenbar schwer zu akzeptieren, dass er selbst Großvater war, eine Erfahrung, die jedem Menschen den eigenen Tod näher bringt. Es vergingen zwei Monate, bis er sich durchringen konnte, das Baby besuchen zu gehen. Doch von diesem Zeitpunkt an hing im Büro des Mannes, der nie ein Familienfoto bei sich hatte, zwischen all den Auszeichnungen ein Foto seines Enkels an der Wand. „Du wurdest im großartigsten Land der Welt geboren“, schrieb O’Neill in einem Brief an seinen Enkel, den nun sein von der Trauer erschütterter Sohn bei seinem Begräbnis vorlas. „Es ist richtig, den ethnischen Hintergrund deiner Eltern kennen zu lernen, die Kultur deiner Ahnen zu lieben und zu genießen. Aber vergiss niemals, dass du vor allem Amerikaner bist. Millionen von Amerikanern haben in der Vergangenheit für deine Freiheit gekämpft. Die Nation verdient unsere Zuwendung. Unterstütze, verteidige und ehre stets jene, deren Pflicht es ist, für die Sicherheit des Landes zu sorgen.“
WÄHREND SIE darauf warteten, dass sich die Mudschahidin in der muslimischen Welt erheben und nach Afghanistan strömen würden, weideten sich Bin Laden und Sawahiri an ihrem Erfolg. „Da habt ihr Amerika, von Gott an einem seiner schwächsten Punkte getroffen“, rühmte sich Bin Laden in einer vorgefertigten Ansprache auf Video, die am 7. Oktober von al-Dschasira ausgestrahlt wurde, am Tag nach den ersten Angriffen amerikanischer und britischer Kampfflugzeuge auf Stellungen der Taliban. „Seine herrlichsten Gebäude wurden zerstört, und dafür danken wir Gott. Da habt ihr Amerika, von Nord bis Süd, von West bis Ost von Furcht erfüllt. Gott sei Dank dafür.“Dann folgte sein Aufruf: „Diese Ereignisse haben die Welt gespalten. Auf der einen Seite stehen die Gläubigen, auf der anderen die Ungläubigen. Möge Gott euch von den Ungläubigen fernhalten. Alle Muslime müssen herbeieilen, um ihrer Religion zum Sieg zu verhelfen. Der Sturm des Glaubens hat sich erhoben.“
Eines Abends saßen Bin Laden und Sawahiri in einem Gästehaus in Kandahar. Ihr Gastgeber war ein gelähmter saudischer Kleriker namens Chaled Bin Ouda Bin Mohammed al-Harbij. „Wir planten und stellten Berechnungen an“, erzählte Bin Laden. „Wir saßen da und schätzten die Verluste des Feindes. Wir rechneten die Passagiere der Flugzeuge ein, diese würden sicher sterben. Was die Türme anbelangte, so nahmen wir an, dass die Leute in den drei oder vier Stockwerken sterben würden, die von den Flugzeugen getroffen würden. Mehr hatten wir nicht erhofft. Ich war am optimistischsten. Aufgrund des Berufs, den ich erlernt und ausgeübt habe [das Baugewerbe], stellte ich mir vor, dass der Treibstoff im Flugzeug die Temperatur des Stahls soweit erhöhen würde, dass er glühen und beinahe seine Eigenschaften einbüßen würde. Wenn das Flugzeug das Gebäude also hier trifft [er machte eine Geste mit den Händen], wird der Teil des Gebäudes oberhalb dieses Punktes einstürzen. Mehr konnten wir nicht erhoffen.“ 3
Viele Angehörige von al-Qaida waren sofort nach den Angriffen evakuiert worden. Maha Elsamneh, die Frau von Sawahiris Freund Ahmed Chadr, packte einige Kleider und Lebensmittel ein und brachte ihre Kinder in ein Waisenhaus in der südlich von Kabul gelegenen Provinz Lugar. Dort versteckten sie sich zwei Monate lang. Es gab einen Brunnen und Bäder im Gebäude. Mitte November, zwei Nächte nach dem Fall von Kabul, stand Sawahiris Familie vor der Tür. Die Flüchtlinge waren in einem furchtbaren Zustand. Die Kinder waren barfuß, und eine der Töchter konnte sich nicht mehr ausreichend verschleiern. Sawahiris Frau Assa war sehr krank. Sie erklärte, sie seien zunächst nach Khost geflohen, dann jedoch nach Kabul zurückgekehrt, um einige Vorräte zu holen. Doch genau zu dieser Zeit hatten die amerikanischen Bombardements begonnen.
Assa, die stark fieberte, behauptete, nicht gewusst zu haben, wer ihr Mann in Wahrheit sei. „Ich ahnte nicht, dass er ein Emir war“, sagte sie. „Ich kann es nicht glauben.“Maha fand das sehr seltsam, denn alle anderen wussten es. 4
Assa trug ihr jüngstes Kind Aischa auf dem Arm, die Tochter mit dem Down-Syndrom, die mittlerweile vier Jahre alt
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